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Tragwerke können sich infolge äußerer Belastungen an bestimmten Stellen vertikal und/oder horizontal verschieben bzw. verdrehen. Diese Verschiebungen/Verdrehungen können mithilfe des Prinzips der virtuellen Kräfte bestimmt werden.
Merke
Die Idee des Prinzips der virtuellen Kräfte (kurz: PdvK) ist es, eine virtuelle Kraftgröße aufzubringen, welche auf der gesuchten Verschiebung Arbeit leistet.
Bei Betrachtung der obigen Grafik sehen wir einen Balken, welcher durch die Kraft
Hinweis
Wir gehen also davon aus, dass die virtuelle Kraftgröße
Wir wissen bereits aus den vorherigen Abschnitten, dass die äußere Arbeit gleich der negativen inneren Arbeit ist. Hier gilt, dass die virtuelle äußere Verschiebungsarbeit gleich der virtuellen inneren Verschiebungsarbeit ist (virtuellen Größen werden durch Überstreichen gekennzeichnet):
Methode
Die virtuelle innere Verschiebungsarbeit ist dabei die innere Verschiebungsarbeit der virtuellen Schnittgrößen auf den Verformungen des wirklichen Zustandes.
Merke
Wir schaffen also ein virtuelles System und setzen dort eine virtuelle Kraft an der Stelle der gesuchten Verschiebung an. Wird nun infolge der äußeren Lasten das Ausgangssystem verformt, so lassen wir das virtuelle System simultan verformen. Die virtuelle Kraft leistet also Verschiebungsarbeit. Demnach leisten auch die virtuellen Schnittgrößen Verschiebungsarbeit.
Berechnung der Verschiebung
Nach dem Prinzip der virtuellen Kräfte wird zur Bestimmung der Verschiebung
Methode
Der Index
Die virtuelle innere Verschiebungsarbeit ergibt sich zu:
Methode
Merke
Sind
Bei Fachwerken gilt:
Methode
Vorgehensweise beim PvK
- Berechnung der Lagerkräfte und Schnittgrößen am Ausgangssystem mittels der Gleichgewichtsbedingungen am unverformten System.
- Aufstellung des virtuellen Systems mit der Kraftgröße
in Richtung der Verschiebung . Die äußeren Belastungen des Ausgangssystems werden im virtuellen System nicht berücksichtigt. - Bestimmung der Auflagerkräfte und Schnittgrößen mittels der Gleichgewichtsbedingungen am unverformten virtuellen System.
- Anwendung des PvK mit
.
Wir wollen im Folgenden ein Beispiel zur Anwendung des Prinzips der virtuellen Kräfte (PvK) aufzeigen.
Beispiel: PvK am Balken
Beispiel
Gegeben sei der obige Kragträger mit der Länge
Bestimme die vertikale Verschiebung
Um die obige Aufgabe lösen zu können, gehen wir wie folgt vor:
Lagerkräfte und Schnittgrößen am Ausgangssystem
Wir beginnen zunächst damit die Lagerkräfte und Schnittgrößen am Ausgangssystem zu bestimmen. Die Lagerkräfte ergeben sich aus den Gleichgewichtsbedingungen zu:
Um die Schnittgrößen bestimmen zu können wird ein gedanklicher Schnitt durch den Balken durchgeführt:
Die Schnittgrößen ergeben sich aus den Gleichgewichtsbedingungen am linken Schnittufer zu:
Als Nächstes muss die Verschiebung identifiziert werden. Der Balken wird sich infolge der Kraft
Die Verschiebung erfolgt also um
Es können als Nächstes die Auflagerkräfte und Schnittgrößen im virtuellen System bestimmt werden:
Die Auflagerkräfte des virtuellen Systems ergeben sich aus den Gleichgewichtsbedingungen:
Die Schnittgrößen des virtuellen Systems ergeben sich aus den Gleichgewichtsbedingungen wie folgt:
Wir haben nun alle Schnittgrößen der beiden Systeme bestimmt. In der Aufgabenstellung ist die Dehnsteifigkeit
Es gilt:
und damit:
Methode
Zur Bestimmung der Verschiebung
Wir lösen die Gleichung zunächst ohne Anwendung der Koppeltafel.
Berechnung der Verschiebung d ohne Koppeltafel
Es gilt:
Mit
Einsetzen führt zu:
Es gilt nun die Integrale zu lösen. Das erste Integral wird zu Null:
Da
Ausmultiplikation der Klammern:
Zusammenfassung der Klammer:
Integral berechnen:
Wir berechnen die Verschiebung für das Balkenende bei
Auflösen nach
Die vertikale Verschiebung am Balkenende beträgt
Anwendung der Koppeltafel zur Berechnung der Verschiebung
Wir wollen als nächste die Koppeltafel heranziehen, um die Aufgabe zu lösen. Bei der Verwendung der Koppeltafel müssen die grafischen Schnittgrößenverläufe vorliegen. Wir wissen, dass das Integral mit der Normalkraft zu Null wird, aufgrund von
In der obigen Grafik sind die Momentenlinien des virtuellen Systems und des Ausgangssystems zu sehen. Bei
In Zeile 2 und Spalte 2 der Koppeltafel erhalten wir diese Momentenverläufe:
Es gilt:
Einsetzen:
Wir müssen nun noch
Setzen wir dies nun mit der virtuellen Arbeit gleich, erhalten wir:
Das Ergebnis ist natürlich identisch. Es ist deutlich zu erkennen, dass die Berechnung des Integrals über die Koppeltafel schneller und einfacher ausfällt. Bei der Berechnung der Integrale ohne Anwendung der Koppeltafel ist der Rechenaufwand sehr hoch, was zu Flüchtigkeitsfehlern führen kann und damit zu einem falschen Ergebnis. Bei der Berechnung der Koppeltafel müssen aber zusätzlich die grafischen Schnittgrößenverläufe vorliegen, diese können aber schnell und gegebenfalls mittels einer Skizze aufgezeichnet werden.
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