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Die Änderung der inneren Energie eines Körpers durch Strahlung ergibt sich aus der Differenz der emittierten und absorbierten Energiebeträge. Obwohl ein „kalter“ Körper nach Maßgabe seiner Temperatur T auch Strahlung an einen „wärmeren“ Körper sendet, muss nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik der Energietransport vom warmen zum kalten Körper überwiegen.
Die geometrische Lage der am Strahlungsaustausch beteiligten Flächen entscheidet darüber, welcher Betrag der von einer Fläche ausgesandten Strahlung (Sender mit dem Index 1) bei der empfangenen Fläche (Empfänger Index 2) ankommt. Für den Anteil des sichtbaren Lichts an der Wärmestrahlung könnte man anschaulicher formulieren, wie viel die Flächen voneinander „sehen“. Solche Sichtfaktoren Fij (Index i = abstrahlende Fläche, Index j = aufnehmende Fläche) werden Geometriefaktor, Einstrahlzahl, Formfaktor oder Winkelverhältnis genannt. Ihre Bestimmung folgt ausschließlich mathematisch geometrischen Gesetzen.
Ehe wir uns der Ermittlung von Sichtfaktoren für beliebig zueinander angeordneten Flächen zuwenden, betrachten wir zwei wichtige Sonderfälle, die dadurch charakterisiert sind, dass jeweils die gesamte von einem Körper ausgehende Strahlung auf den anderen Körper trifft. Das Attribut „ausgehend“ bedeutet hier nicht emittiert, sondern schließt Reflexion mit ein.
1. Strahlungsaustausch zwischen zwei unendlich ausgedehnten parallelen ebenen Wänden:
Methode
Die Größe C12 stellt hier den für die parallelen Wände resultierenden Strahlungsaustauschkoeffizienten dar, der durch Koeffizientenvergleich zu gewinnen ist.
Diese Gleichung wird angewendet für zwei diffus strahlende oder spiegelnde parallele Oberflächen unendlicher Ausdehnung. Außerdem beschreiben diese Gleichungen das Verhalten in konzentrischen Zylindern oder Kugeln, wenn die Oberfläche im Innenkörper diffus und die umhüllende Außenfläche spiegelnd strahlen.
2. Strahlungsaustausch im Hohlraum konzentrischer Zylinder- oder Kugelflächen
Die konvexe Fläche A1 kann keine Strahlung von sich selber erhalten. Die von A1 ausgehende Strahlung trifft aber vollständig auf die Fläche A2 des äußeren Zylinders (der äußeren Kugel) 2 (siehe Abbildung 18 Strahlengang (a)). Ein Teil der Strahlung wird von A2 durch Reflexion auf A1 zurückgeworfen und hiervon wiederum ein Teil von A1 an A2 reflektiert. Diese Mehrfachreflexionen zwischen den Oberflächen finden so lange statt bis der Reflexionsanteil gegen null strebt, weil bei jedem Kontakt der Strahlung mit Oberflächen ein Teil davon absorbiert wird. Die von dem äußeren Zylinder (der äußeren Kugel) ausgehende Strahlung der eine vollständige Umhüllung darstellenden Fläche A2 trifft nur nach Maßgabe des Flächenverhältnisses
Wegen der unterschiedlichen Größenverhältnisse der strahlenden Flächen darf die Gleichung für den ausgetauschten Wärmestrom nicht flächenspezifisch, wie für die beiden unendlich ausgedehnten parallelen Wände formuliert werden. Analog zu dem oben beschriebenen Vorgehen folgt jetzt
Methode
mit dem hier durch Koeffizientenvergleich gewonnenen Strahlungsaustauschkoeffizienten C12
Vorsicht
In diesen Formeln bezeichnet A1 stets die Oberfläche des kleineren, eingeschlossenen Körpers und A2 die Oberfläche der Umhüllung unabhängig davon, welche Fläche die höhere Temperatur aufweist. Wenn den Wärmestrom von Wand 1 an Wand 2 meint und die äußere Umhüllung 2 die höhere Temperatur besitzt, resultieren konsequenterweise negative Werte für
Je größer die Umhüllungsfläche A2, desto höhere Werte erreicht der Wärmestrom . Ist die Fläche A2 sehr viel größer als A1, insbesondere bei hemisphärischer Abstrahlung mit A2 → ∞, folgt mit
Streng genommen gilt die oben erwähnte Formel nur für unendlich lange, koaxiale Zylinder und konzentrische Kugeln. Für den Fall A2 → ∞ wird diese Formel als Näherung auch für andere Geometrien verwendet.
Allgemeine geometrische Konstellationen
Viele Fälle, bei denen sich zwei Flächen im Raum gegenüberstehen, können nicht auf die beiden oben vorgestellten Sonderfälle des Strahlungsaustausches zurückgeführt werden. Praktisch ist es oft so, dass nicht die gesamte von A1 ausgehende Wärmestrahlung auf die empfangende Fläche A2 auftrifft und umgekehrt. Für die Berechnung des Strahlungsaustausches zwischen diesen Flächen muss also ermittelt werden, welcher Betrag der beispielsweise von A1 insgesamt emittierten Energie auf die Fläche A2 trifft und dort absorbiert wird.
Setzt man den Strahlungsfluss, der von einer endlich großen, diffus strahlenden Fläche mit konstanter Energiestromdichte A1 ausgeht und auf die Fläche A2 trifft, ins Verhältnis zum Strahlungsfluss, der von der Fläche A1 in den Halbraum emittiert wird, erhält man den nur von geometrischen Größen abhängenden, dimensionslosen Sichtfaktor F12
Der Sichtfaktor F12 beschreibt den von Fläche A1 ausgehenden Anteil der Strahlung, der die Fläche A2 erreicht. Der übrige Anteil trifft zu anderen Körpern gehörige Flächen oder wird in den darüber aufgespannten Halbraum emittiert.
s | (Sicht)Abstand der Flächenelemente dA1 und dA2 |
ψ1, ψ2 | Winkel zwischen der Normalen der Flächenelemente dA1 und dA2 und der Achse des Sichtabstandes r |
Analog folgt der dimensionslose Sichtfaktor F21 für den von A2 ausgehenden Strahlungsfluss, der die Fläche A1 trifft, zu
Der Nettowärmestrom, der ausgehend von A1 die Fläche A2 erreicht, ist dann bestimmbar aus:
und schließlich auf:
Für die Strahlungsaustauschkonstante C12 ist definitionsgemäß anzusetzen:
Methode
Die Bestimmung der Sichtfaktoren für konkrete, in der Praxis interessierende Fälle sind rein mathematische Lösungen der jeweiligen geometrischen Probleme und erfordern mitunter einen erheblichen Aufwand. Die Beschaffung der Sichtfaktoren ist eine der wichtigsten Herausforderungen für die Berechnung des Strahlungsaustausches. Dabei handelt es sich um rein geometrische Beziehungen, die für technisch häufig vorkommende Konstellationen schon ausgewertet in der Literatur dokumentiert sind. Als Beispiele stellen wir hier zwei in Abbildung 20 skizzierte Fälle vor.
- zwei kongruente, sich exakt parallel gegenüberliegende Rechteckflächen
Expertentipp
Beachte den Unterschied zu zwei sich gegenüberliegenden unendlich ausgedehnten ebenen Flächen!
Methode
- zwei parallele Kreisscheiben mit gemeinsamer Mittelsenkrechten
Methode