Inhaltsverzeichnis
Wir wählen zunächst ein Beispiel zum Drehwinkelverfahren, indem wir ein System betrachten in welchem keine Verschiebungen berücksichtigt werden. Somit werden nur Festhaltungen gegen Verdrehen eingefügt und damit auch nur das Knotengleichgewicht zur Berechnung der unbekannten Verdrehungen benötigt.
Beispiel: Drehwinkelverfahren
Beispiel
Gegeben sei das obige horizontal unverschiebliche Rahmentragwerk. Das Rahmentragwerk wird durch eine rechteckige Streckenlast
Die folgenden Steifigkeitsverhältnisse sind gegeben:
Effektive Stablängen
Bevor wir mit der Berechnung beginnen, ist es sinnvoll die effektiven Stablängen
Methode
Wir berechnen die einzelnen effektiven Längen
Stab | Länge l | | |
a-b b-c c-d c-e | 6 8 4 5,66 | 1,5 1 1 1 | 9 8 4 5,66 |
1. Geometrisch bestimmtes Grundsystem
Nachdem wir die effektiven Längen berechnet haben, können wir damit beginnen das geometrisch bestimmte Grundsystem aufzustellen. Dazu benötigen wir den Grad der geometrischen Unbestimmtheit. Grundsätzlich setzt sich dieser aus den unbekannten Verschiebungsgleichungen
Wir benötigen also noch die unbekannten Knotendrehwinkel:
Für die obigen Knoten b und c ist weder das Moment noch die Verdrehung bekannt. Hier liegen also
Der Grad der geometrischen Unbestimmtheit beträgt demnach:
Das System ist demnach 2-fach geometrisch unbestimmt. Für die Anwendung des Drehwinkelverfahrens muss dieses jedoch geometrisch bestimmt sein. Hierzu müssen wir Festhaltungen so einfügen, dass alle Verschiebungen und Verdrehungen der Knoten unterbunden werden. Verschiebungen haben wir nicht gegeben, weshalb wir für das obige System nur Festhaltungen gegen Verdrehen einfügen müssen.
Hinweis
Um die Knotendrehungen zu unterbinden, fügen wir für jeden unbekannten Knotendrehwinkel Festhaltungen gegen Verdrehen ein.
Das System ist jetzt geometrisch bestimmt (=0-System).
2. Verformungen am geometrisch bestimmten Grundsystem (0-System)
Zunächst berechnen wir die Verformungen am geometrisch bestimmten Grundsystem (0-System), die infolge der äußeren Belastung auftreten. Wir berechnen die Verformungen beim Drehwinkelverfahren stabweise.
Das Drehwinkelverfahren setzt voraus, dass alle Zustandsgrößen
Wir benötigen nun die Verformungen am geometrisch bestimmten Grundsystem, d.h. die Stabendmomente infolge äußerer Einwirkungen. Ihr findet die Tabelle links im Ordner Materialen unter dem Namen Stabendmomente. In der folgenden Grafik ist der relevante Ausschnitt mit zusätzlicher Momentenlinie aufgeführt:
Wir haben für den Stab b-c den Lastfall 1 gegeben (Streckenlast). Außerdem ist für uns die Spalte 1 relevant, da wir im Knoten b und im Knoten c je eine Festhaltung gegen Verdrehen gegeben haben, die einer Volleinspannungen des Stabes entsprechen. Das Moment
Für unser Beispiel ergibt sich demnach:
3. Verformungen an den Einheitssystemen
Wir haben hier zwei Festhaltungen an den Knoten b und c eingefügt, damit ergeben sich zwei Einheitssysteme. Die Stabendmomente infolge Knotendrehungen können ebenfalls Tabellenwerken entnommen werden. Ihr findet eine die Tabelle links im Ordner Materialien unter dem Namen Stabendmomente.
Hinweis
Wir betrachten nun nachfolgend zunächst die Knotendrehung am Knoten b im 1-System und danach die Knotendrehung am Knoten c im 2-System.
1-System
Den relevanten Ausschnitt aus der Tabelle für die Stabendmomente infolge der Knotendrehung im Knoten b findet ihr in der folgenden Grafik:
Wir betrachten nun zunächst die Knotendrehung im Knoten b. Der Knoten b ist mit dem Stab a-b und mit dem Stab b-c verbunden. Wir müssen nun die Stabendmomente beider Stäbe betrachten.
Der Stab a-b ist an beiden Seiten fest eingespannt (Festhaltung gegen Verdrehen = Volleinspannung). Der Knoten b befindet sich am rechten Ende des Stabes, demnach ist hier die untere Zeile der obigen Grafik relevant.
Der Stab b-c ist ebenfalls fest eingespannt. Hier erfolgt die Knotendrehung am linken Ende, demnach ist die obere Zeile der Grafik relevant.
Auf unser Beispiel angewendet erhalten wir:
Die Stabendmomente für können dann einfach durch Einsetzen berechnet werden.
Stab a-b mit der effektive Stablänge
Stab b-c mit der effektiven Stablänge
In der obigen Grafik ist deutlich zu erkennen, dass infolge der eingefügten Festhaltungen Sprünge in der Momentenlinie auftreten (Knoten b). Das Sprungmoment wird von der Festhaltung aufgenommen.
2-System
Die Stabendmomente für können dann einfach durch Einsetzen berechnet werden.
Stab b-c mit der effektive Stablänge
Stab c-d mit der effektiven Stablänge
4. Aufstellung des Gleichungssystems
Als nächstes müssen die Gleichgewichtsbedingungen aufgestellt werden. Das Verschiebegleichgewicht fällt hier raus, da keine Verschiebungen gegeben sind.
Die Momentengleichgewichtsbedingungen sind dort aufzustellen, wo Festhaltungen gegen Verdrehen eingefügt wurden. Für die Knotenmomente können die obigen Stabendmomente mit ihren Vorzeichen übernommen werden. Die Knotenmomente müssen aber gegendrehend zu den Stabendmomenten angebracht werden.
Das Knotengleichgewicht berechnet sich wie folgt:
Methode
mit
Wir erhalten das folgende Gleichungssystem:
Hinweis
Das äußere Moment
Wir fassen die obigen Gleichgewichtsbedingungen zusammen:
Methode
(1)
Methode
(2)
Vorsicht
Für die Aufstellung des Momentengleichgewichts gilt die bekannte Vorzeichenregelung, dass linksdrehende Momente positiv und rechtsdrehende Momente negativ berücksichtigt werden. Die Stabendmomente dürfen mit ihrem Vorzeichen übernommen werden, müssen aber am betrachteten Knoten genau gegendrehend eingezeichnet werden (falls ihr euch das ganze visualisieren wollt). Für äußere Momente die am Knoten angreifen (wie hier am Knoten c das gegebene Moment M) müsst ihr die Vorzeichen dann entsprechend dieser Vorzeichenregelung noch übernehmen.
5. Lösung des Gleichungssystems
Wir wollen nun eine Lösung für
Merke
Beim Einsetzungsverfahren, löst man eine der Gleichungen nach einer Variablen auf und setzt diese in die andere Gleichung ein
Unbekannte Faktoren bestimmen
Wir beginnen damit eine der Gleichgewichtsbedingungen nach einer der Variablen aufzulösen (hier: (1) nach
(1)
Wir setzen diese Gleichung in (2) ein:
(2)
Methode
Wir setzen als nächstes
(2)
Methode
Probe:
Die Probe erfolgt, indem die beiden Faktoren
(1)
(2)
Das erste Ergebnis ist nicht exakt Null infolge von Rundungsfehlern. Je mehr Stellen nach dem Komma berücksichtigt werden (auch schon bei Anwendung der Stabendmomente) desto genauer das Ergebnis. Am sinnvollsten ist es bei den Stabendmomenten - wenn möglich - mit Brüchen zu arbeiten.
Unbekannte Knotendrehwinkel bestimmen
Außerdem können wir die unbekannten Knotendrehwinkel über die nachfolgende Gleichung bestimmen:
Wir haben zwei unbekannte Knotendrehwinkel gegeben:
Methode
Mit
Merke
Der Knotendrehwinkel
6. Berechnung der Momentenlinien des Ausgangssystems
Wir können als nächstes die Momentenlinie des Ausgangssystems durch Superposition bestimmen:
Methode
mit
Wir betrachten hier alle Knoten des Tragwerks.
Knoten a mit Nachbarkonten b
Wir beginnen mit dem Knoten
Im geometrisch bestimmten System (0-System) ist die Momentenlinie von Knoten a zu Knoten b nicht gegeben und demnach ist hier das Stabendmoment am Knoten a gleich Null:
Im 1-System ist die Momentenlinie von Knoten a zu Knoten b gegeben. Das Stabendmoment am Knoten a beträgt hier:
Im 2-System ist die Momentenlinie von Knoten a zu Knoten b nicht gegeben. Das Stabendmoment am Knoten a beträgt hier:
Wir erhalten demnach:
Methode
Knoten b mit Nachbarknoten a
Wir betrachten den Knoten
Im geometrisch bestimmten System (0-System) ist die Momentenlinie von Knoten b zu Knoten a nicht gegeben und demnach ist hier das Stabendmoment
Im 1-System ist die Momentenlinie von Knoten b zu Knoten a gegeben. Das Stabendmoment am Knoten b beträgt hier:
Im 2-System ist die Momentenlinie von Knoten b zu Knoten a nicht gegeben. Das Stabendmoment am Knoten b beträgt hier:
Wir erhalten demnach:
Methode
Knoten b mit Nachbarknoten c
Der Knoten
Im geometrisch bestimmten System (0-System) ist die Momentenlinie von Knoten b zu Knoten c gegeben. Das Stabendmoment am Knoten b beträgt hier:
Im 1-System ist die Momentenlinie von Knoten b zu Knoten c gegeben. Das Stabendmoment am Knoten b beträgt hier:
Im 2-System ist die Momentenlinie von Knoten b zu Knoten c gegeben. Das Stabendmoment am Knoten b beträgt hier:
Wir erhalten demnach:
Methode
Knoten c mit Nachbarknoten b
Im geometrisch bestimmten System (0-System) ist die Momentenlinie von Knoten c zu Knoten b gegeben. Das Stabendmoment am Knoten c beträgt hier:
Im 1-System ist die Momentenlinie von Knoten c zu Knoten b gegeben. Das Stabendmoment am Knoten c beträgt hier:
Im 2-System ist die Momentenlinie von Knoten c zu Knoten b gegeben. Das Stabendmoment am Knoten c beträgt hier:
Wir erhalten demnach:
Methode
Knoten c mit Nachbarknoten d
Im geometrisch bestimmten System (0-System) ist die Momentenlinie von Knoten c zu Knoten d nicht gegeben. Das Stabendmoment am Knoten c beträgt hier:
Im 1-System ist die Momentenlinie von Knoten c zu Knoten d nicht gegeben. Das Stabendmoment am Knoten c beträgt hier:
Im 2-System ist die Momentenlinie von Knoten c zu Knoten d gegeben. Das Stabendmoment am Knoten c beträgt hier:
Wir erhalten demnach:
Methode
Knoten d mit Nachbarkonten c
Im geometrisch bestimmten System (0-System) ist die Momentenlinie von Knoten d zu Knoten c nicht gegeben. Das Stabendmoment am Knoten d beträgt hier:
Im 1-System ist die Momentenlinie von Knoten d zu Knoten c nicht gegeben. Das Stabendmoment am Knoten d beträgt hier:
Im 2-System ist die Momentenlinie von Knoten d zu Knoten c gegeben. Das Stabendmoment am Knoten d beträgt hier:
Wir erhalten demnach:
Methode
7. Einzeichnung der Momentenlinie
Wir orientieren uns bei der Einzeichnung der Momentenlinie an der Momentenlinie der Stabendmomente. Wir haben also zum Beispiel das Stabendmoment
Zur Intepretation der obigen Grafik ist es sinnvoll alle drei Systeme und ihre Stabendmomente zu betrachten:
Betrachten wir als Beispiel den Knoten a, so ergibt sich hier die Momentenlinie des Ausgangssystem aus dem 1-System und dem Vergrößerungsfaktor
Das Stabendmoment im Knoten b für den Stab b-c ergibt sich aus dem 0-System mit -16 zuzüglich 0,5 aus dem 1-System mit dem Vergrößerungsfaktor
Bei dem Stabendmoment im Knoten c für den Stab c-b muss zusätzlich das äußere Moment mitberücksichtigt werden. Für die äußeren Momente gilt die bekannte Vorzeichenregelung, dass linksdrehende Momente positiv berücksichtigt werden (hier also: -6).
Weitere interessante Inhalte zum Thema
-
Gelenkige Lager am Stabende
Vielleicht ist für Sie auch das Thema Gelenkige Lager am Stabende (Voraussetzungen für das Drehwinkelverfahren) aus unserem Online-Kurs Baustatik 2 interessant.
-
Bestimmung der Unbekannten
Vielleicht ist für Sie auch das Thema Bestimmung der Unbekannten (Kraftgrößenverfahren (KGV)) aus unserem Online-Kurs Baustatik 1 interessant.