Inhaltsverzeichnis
In diesem Abschnitt behandeln wir als nächstes ein Beispiel zum Drehwinkelverfahren, in welchem neben den Knotendrehungen auch Knotenverschiebungen infolge Stabdrehungen berücksichtigt werden. Wir müssen in diesem Fall zusätzlich das Verschiebegleichgewicht berücksichtigen.
Hinweis
Ziel ist die Ermittlung der Momentenlinie eines statisch unbestimmten Systems mittels Drehwinkelverfahren.
Beispiel: Drehwinkelverfahren - Knotenverschiebungen infolge Stabdrehungen
Beispiel
Gegeben sei das obige Tragwerk, welches mit einer vertikalen Einzelkraft
Effektive Stablängen
Bevor wir mit der Berechnung beginnen, ist es sinnvoll die effektiven Stablängen
Methode
Da alle Stäbe dieselbe Biegesteifigkeit aufweisen, sind die effektiven Längen
Stab | Länge l | | |
a-b b-c c-d | 4 6 4 | 1 1 1 | 4 6 4 |
1.Geometrisch bestimmtes Grundsystem
Als nächstes stellen wir das geometrisch bestimmte Grundsystem (0-System) auf. Dazu benötigen wir den Grad der geometrischen Unbestimmtheit. Dieser setzt sich aus den unbekannten Verschiebungsgleichungen
Unbekannte Verschiebungsgleichungen
Die unbekannten Verschiebungsgleichungen werden über den Grad der elastischen Verschieblichkeit
Wir fügen zunächst Momentengelenke an den Knoten a, b und c ein. Knoten d weist bereits ein gelenkiges Lager mit
Methode
Wir haben
Für den Grad der elastischen Verschieblichkeit gilt
Unbekannten Knotendrehwinkel
Als nächstes betrachten wir die Anzahl der unbekannten Knotendrehwinkel. Dazu ziehen wir wieder das Ausgangssystem heran und fragen uns für jeden Knoten, ob die Verdrehung
Die Verdrehung im Knoten
Betrachten wir nun alle Festhaltungen zusammen in einem System, so erhalten wir das geometrisch bestimmte Grundsystem (0-System):
2. Verformungen am geometrisch bestimmten Grundsystem (0-System)
Zunächst berechnen wir die Verformungen am geometrisch bestimmten Grundsystem (0-System), die infolge der äußeren Belastung
Wir benötigen nun die Verformungen am geometrisch bestimmten Grundsystem, d.h. die Stabendmomente infolge äußerer Einwirkungen. Ihr findet die Tabelle links im Ordner Materialen unter dem Namen Stabendmomente. In der folgenden Grafik ist der relevante Ausschnitt aufgeführt:
Im 0-System greift die äußere Einzellast mittig an Stab b-c an. Der Stab b-c weist links und rechts eine feste Einspannung auf (Festhaltung gegen Verdrehen = Volleinspannung). Wir betrachten also die erste Spalte.
Für unser Beispiel ergibt sich demnach:
Wir müssen hier zusätzlich zu den Stabendmomenten die Lagerkraft
Das Moment im Stab
3. Verformungen an den Einheitssystemen
Wir haben hier zwei Festhaltungen gegen Verdrehen an den Knoten
Hinweis
Ihr findet die Tabelle links im Ordner Materialien.
Wir betrachten nun nachfolgend zunächst die Knotendrehung am Knoten b im 1-System, danach die Knotendrehung am Knoten c im 2-System und abschließend die Stabdrehung im Knoten b im 3-System.
In der obigen Grafik sind die 3 Einheitssysteme zusammengefasst. Auf der linken Seite ist die Biegelinie zu sehen und auf der rechten Seite die Stabendmomente sowie Lagerkräfte der Festhaltung gegen Verschieben für
- die Knotendrehung
im Knoten b (1-System), - die Knotendrehung
im Knoten c (2-System) sowie - die horizontale Verschiebung der Knoten b und c (3-System).
Da die Normalkraft im Stab b-c in allen Systemen gleich Null wird, können wir für die Berechnung der Festhaltekräfte die Stabendmomente im Stab a-b heranziehen, um die Querkraft berechnen. Danach können wir den Knoten b freischneiden und aus der horizontalen Gleichgewichtsbedingung die Festhaltekräfte berechnen.
Hinweis
Wie die Querkraft aus den Stabendmomenten berechnet wird, könnt ihr in dem Kurstext Querkraft aus Stabendmomenten - unbelasteter Stababschnitt nachlesen. Der Stab a-b wird nicht durch eine äußere Kraft belastet, weshalb hier ein unbelasteter Stababschnitt vorliegt.
Die Berechnung der Festhaltekräfte, wenn
Methode
Die Lagerkräfte
Merke
Wichtig: Hier muss auch der Stab c-d mit seiner in gleicher Richtung wie die Festhaltekraft wirkenden Querkraft berücksichtigt werden. Auch dieser Stab ist unbelastet.
4. Aufstellung der Gleichgewichtsbedingungen
Als nächstes müssen die Gleichgewichtsbedingungen aufgestellt werden.
Knotengleichgewicht
Das Knotengleichgewicht berechnet sich wie folgt:
Methode
mit
Wir wenden die obige Gleichung auf alle Knoten an, an denen Verdrehfesthaltungen angebracht sind. Wir beginnen mit dem Knoten
Wir setzen die Momente ein am Knoten b für die einzelnen Systeme ein:
Einsetzen von
Methode
Als nächstes betrachten wir den Knoten c:
Wir setzen die Momente ein am Knoten c für die einzelnen Systeme ein:
Einsetzen von
Methode
Verschiebegleichgewicht
Im nächsten Schritt wollen wir das Verschiebegleichgewicht aufstellen, denn die unbekannten Knoten- und Stabdrehwinkel müssen zusätzlich die Bedingung erfüllen, dass die Festhaltekraft im wirklichen System gleich Null ist. Demnach muss die Summe der Festhaltekräfte im 0-System und in den Einheitssystemen gleich Null sein:
Methode
mit
Wir stellen das Verschiebegleichgewicht für den Knoten
Einsetzen von
Methode
5. Gleichungssystem aufstellen und lösen
Wir schreiben die obigen drei Gleichungen in eine Matrix und erhalten so das lineare Gleichungssystem in Matrixschreibweise:
Als Dezimalzahlen mit 3 Nachkommastellen:
Der nächste Schritt ist die Lösung des obigen Gleichungssystems.
Gauß-Algorithmus
Wir können das obige Gleichungssystem zum Beispiel mit dem Gauß-Algorithmus lösen. Dazu werden alle Werte ohne Variablen auf die rechte Seite gebracht:
Wir betrachten die Koeffizienten und die rechte Seite und schreiben diese wie folgt auf:
Merke
Ziel des Gauß-Algorithmus' ist es mithilfe von Zeilenumformungen unter der Hauptdiagonalen Nullen zu erzeugen.
Wir wollen nun also an der Stelle der
Wir haben unter der Hauptdiagonalen Nullen erzeugt und können nun das Gleichungssystem lösen. Wir beginnen mit der Zeile (3):
Wir lösen den Bruch auf und schreiben die Dezimalzahl auf 3 Nachkommastellen gerundet auf:
Methode
Aus der Zeile (2) erhalten wir:
Einsetzen von
Methode
Aus der Zeile (1) erhalten wir:
Einsetzen von
Methode
6. Unbekannte Knotendrehwinkel und Verschiebung bestimmen
Nachdem das Gleichungssystem gelöst ist, können die unbekannten Knotendrehwinkel für die Knoten b und c sowie die horizontale Verschiebung des Riegels bestimmt werden.
Die Winkel sind in Bogenmaß gegeben, die Verschiebung in Meter. Die negativen Vorzeichen bedeuten, dass die in den Einheitssystemen angenommene Knotendrehung tatsächlich genau entgegendrehend erfolgt. In den Einheitssystemen ist eine Knotendrehung für beide Knoten als rechtsdrehend angenommen worden. Tatsächlich erfolgt hier die Knotendrehung in b und in c in einer Linksdrehung. Die Verschiebung ist positiv und demnach im 3-System richtig angenommen worden. Der Riegel verschiebt sich um 0,00712 m nach links.
7. Momentenlinie des statisch unbestimmten Systems
Der letzte Schritt ist die Ermittlung der Momentenlinie des Ausgangssystems mittels Superposition. Hierbei handelt es sich um die Stabendmomente des Ausgangssystems. Diese können mit der folgenden Gleichung bestimmt werden:
Methode
Berechnung der Stabendmomente des statisch unbestimmten Systems:
Wir orientieren uns bei der Einzeichnung der Momentenlinie an der Momentenlinie der Stabendmomente. Betrachten wir zum Beispiel den Knoten a, so haben wir in den Einheitssystemen die Momentenlinie für positive Stabendmomente nach rechts gerichtet eingezeichnet. Demnach wird auch 0,793 (weil positiv) nach rechts gerichtet eingezeichnet.
Für M_{ba}
Es resultiert dann:
Bestimmung des Maximums
Im Folgenden wollen wir uns anschauen, wie das Maximum 6,65 im Stab b-c bestimmt werden kann.
Zunächst kennen wir bei Angriff einer Einzellast in Stabmitte die folgenden Stabendmomente mit Maximum (Tabellenwerken zu entnehmen):
In der obigen Grafik liegen beide Stabendmomente auf der Stabachse und damit auch auf einer Linie. In unserem Beispiel beginnen die Stabendmomente aber nicht auf der Stabachse und sind zusätzlich unterschiedlich groß. Verbinden wir beide Stabendmomente miteinander, so sehen wir, dass hier eine Steigung der Verbindungslinie gegeben ist. Wir müssen nun zum Einen berücksichtigen, dass die Stabendmomente nicht auf der Stabachse beginnen und zum Anderen die Steigung der Verbindungslinie.
Der erste Schritt ist also das Verbinden der beiden Stabendmomente im Knoten b und im Knoten c:
In der obigen Grafik ist die Verbindungslinie vom linken zum rechten Stabendmoment für den Stab b-c eingezeichnet. Das Maximum der Momentenlinie von dieser Verbindungslinie ausgehend beträgt
Dazu übertragen wird die Verbindungslinie in ein x,y-Koordinatensystem, wobei die Stabachse die x-Achse darstellt:
Die Verbindungslinie ist eine Gerade, weshalb wir die Geradengleichung
Wir benötigen nun den Funktionswert in der Mitte, da das Maximum in der Mitte liegt:
Einsetzen in die Geradengleichung ergibt:
Dieser Wert reicht von der Verbindungslinie zur Stabachse. Wir können nun das Maximum von der Stabachse ausgehend berechnen:
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