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Baustatik 1 - Anwendung des Kraftgrößenverfahrens

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Baustatik 1

Anwendung des Kraftgrößenverfahrens

Das Kraftgrößenverfahren wird bei einem statisch unbestimmten System $n > 1$ herangezogen um alle unbekannten Kräfte bestimmen zu können. Die Vorgehensweise des Kraftgrößenverfahrens wird im Folgenden schematisch dargestellt. Die nachfolgenden Schritte sollten in jedem Fall zur Anwendung des Kraftgrößenverfahrens nach und nach abgearbeitet werden.

In den nachfolgenden Abschnitten wird die Anwendung des Kraftgrößenverfahrens anhand eines Beispiels ausführlich dargestellt. 

Anleitung zur Anwendung des Kraftgrößenverfahrens

  1. Das Abzählkriterium wird herangezogen um die n-fach statische Unbestimmtheit des Systems zu ermitteln:

Methode

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$f = a + z - 3n$                    Abzählkriterium

mit

$a$ : Anzahl der möglichen Auflagerkräfte

$z$ :  Anzahl der möglichen Zwischenkräfte (Gelenkkräfte etc.)

$n$ Anzahl der starren Bauteile


2. Es wird zunächst das sogenannte 0-System erzeugt, indem $f$ unbekannte Kräfte aus dem statisch unbestimmten Ausgangssystem entfernt werden, bis dieses statisch bestimmt ist ($f = 0$).


3. Das statisch bestimmte 0-System darf nicht kinematisch werden, d. h. es muss die nicht Verschieblichkeit des Systems - z. B. aus dem Widerspruch am Polplan - überprüft werden.


4. Für jede entfernte Kraft wird ein neues System erzeugt, es ergeben sich damit neben dem 0-System zusätzlich $f$-Systeme. Dabei wird die entfernte Kraft im $f$-System an derselben Stelle wie im Ausgangssystem angebracht. Die Lagerkräfte des 0-System werden übernommen. Die äußeren Belastungen des 0-Systems werden nicht übernommen.


5. Es werden als Nächstes die Lagerkräfte des 0-Systems und der $f$-Systeme bestimmt. Das Ausgangssystem wird ab hier nicht weiter betrachtet.

6. Die Schnittgrößenverläufe des 0-Systems und der $f$- Systeme werden jeweils ermittelt. Hierzu ist es sinnvoll die grafischen Schnittgrößenverläufe zu zeichnen (Skizze), um später die  Koppeltafel, Tafel der Integrale anwenden zu können.


7. Das Prinzip der virtuellen Kräfte (PvK) wird herangezogen, um die Verschiebung im 0-System und in den $n$-Systemen zu bestimmen.

Grundsätzlich stellt man beim PvK zu dem statisch bestimmten System ein virtuelles System auf. Beim Kraftgrößenverfahren sind aber die virtuellen Systeme mit den $f$-Systemen identisch, weshalb anstelle der virtuellen Systeme die $f$-Systeme für die Berechnung der Verschiebungen herangezogen werden. Es müssen also keine virtuellen Systeme aufgestellt werden.


8. Die Verschiebungen im 0-System und in den $f$-Systemen werden jeweils berechnet. Dazu wird die folgende Formel herangezogen:

Methode

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$1 \cdot \delta_{ij} = \int [ \frac{N_i N_j}{EA} + N_i \alpha_{th} \cdot T_0 $

           $+ \frac{Q_i Q_j}{GA_s} $

           $+ \frac{M_i M_j }{EI} + M_i \alpha_{th}\cdot \frac{\triangle T}{h}$

           $+ \frac{M_{Ti} M_{Tj}}{G I_P}] dx$

           $+ \sum \frac{F_i F_j}{k_F} + \sum \frac{M_{F_i} M_{F_j}}{k_M}$


Die Indizes $ij$ sind wie folgt einzusetzen:

$i$ ist die Stelle der Verschiebung

$j$ ist das betrachtete System

Entfernen wir also z. B. $n = 2$ zwei Auflagerkräfte so haben wir $i = 1,2$ Stellen gegeben. $j$ ist das System, welches gerade betrachtet wird. Um also die Verschiebung am 0-System zu berechnen, müssen wir $j = 0$ setzen. $i = 1,2$ sind die Stellen der Verschiebung. Da zwei Auflagerkräfte entfernt werden ergeben sich also Verschiebungen an zwei Stellen.

Verschiebung an der Stelle $i = 1$ (Auflagerkraft 1) im 0-System:

$1 \cdot \delta_{10} = \int [ \frac{N_1 N_0}{EA} + N_1 \alpha_{th} \cdot T_0 $

           $+ \frac{Q_1 Q_0}{GA_s} $

           $+ \frac{M_1 M_0 }{EI} + M_1 \alpha_{th}\cdot \frac{\triangle T}{h}$

           $+ \frac{M_{T1} M_{T0}}{G I_P}] dx$


Verschiebung an der Stelle $i = 2$ (Auflagerkraft 2) im 0-System:

$1 \cdot \delta_{20} = \int [ \frac{N_2 N_0}{EA} + N_2 \alpha_{th} \cdot T_0 $

           $+ \frac{Q_2 Q_0}{GA_s} $

           $+ \frac{M_2 M_0 }{EI} + M_2 \alpha_{th}\cdot \frac{\triangle T}{h}$

           $+ \frac{M_{T2} M_{T0}}{G I_P}] dx$


Die Verschiebung an der Stelle $i = 1$ im 1-System ergibt sich dann zu:

$1 \cdot \delta_{11} = \int [ \frac{N_1 N_1}{EA} + N_1 \alpha_{th} \cdot T_0 $

           $+ \frac{Q_1 Q_1}{GA_s} $

           $+ \frac{M_1 M_1 }{EI} + M_1 \alpha_{th}\cdot \frac{\triangle T}{h}$

           $+ \frac{M_{T1} M_{T1}}{G I_P}] dx$

 

Die Verschiebung an der Stelle $i = 2$ im 2-System ergibt sich dann zu:

$1 \cdot \delta_{22} = \int [ \frac{N_2 N_2}{EA} + N_2 \alpha_{th} \cdot T_0 $

           $+ \frac{Q_2 Q_2}{GA_s} $

           $+ \frac{M_2 M_2 }{EI} + M_2 \alpha_{th}\cdot \frac{\triangle T}{h}$

           $+ \frac{M_{T2} M_{T2}}{G I_P}] dx$

9. Tatsächlich sind im Ausgangssystem keine Verschiebungen an den Stellen der entfernten Auflagerkräfte vorhanden. Deswegen müssen die tatsächlichen Verschiebungen an den Stellen $i$ gleich Null sein:

Methode

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$\delta_i = \sum_{j = 1}^n \delta_{ij} \cdot X_j + \delta_{i0} = 0$


Für die Entfernung einer Auflagerkraft an einer Stelle ergibt sich demnach:

Methode

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$d_1 = \delta_{11} \cdot X_1 + \delta_{10} = 0$

 

Dabei ist $\delta_{10}$ die Verschiebung im 0-System an der Stelle $1$ und $\delta_{11}$ die Verschiebung im 1-System, wobei hier die Kraft mit dem Betrag von 1 angenommen wurde. Damit beide Verschiebungen gleich groß sind, muss die Verschiebung mit einem Wert $X_1$ multipliziert werden, welcher genau der unbekannten Lagerkraft entspricht.

Für die Entfernung von zwei Auflagerkräften an zwei Stellen ergibt sich demnach:

$\delta_1 = \delta_{11} \cdot X_1 + \delta_{12} \cdot X_2 + \delta_{10} = 0$ (Gesamtverschiebung an der Stelle 1 = 0)

$\delta_2 = \delta_{21} \cdot X_1 + \delta_{22} \cdot X_2 + \delta_{20} = 0$ (Gesamtverschiebung an der Stelle 2 = 0)

 

10. Durch eine Superposition von Nullzustand und Einheitszustand ist es nun möglich, jede Schnittgröße des statisch unbestimmten Ausgangssystems zu bestimmen:

Methode

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$M = M_0 + X_1 \cdot M_1$            Momentenverlauf

$Q = Q_0 + X_1 \cdot Q_1$             Querkraftverlauf

$N = N_0 + X_1 \cdot N_1$             Normalkraftverlauf