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Beispiel: Prinzip der virtuellen Arbeit (PdvA) - Auflagerkraft bestimmen
Beispiel
Gegeben sei der obige Rahmen, welcher durch eine Streckenlast und ein Moment belastet wird. Bestimme die horizontale Auflagerkraft $A_h$ mithilfe des Prinzips der virtuellen Arbeit.
Der erste Schritt ist die Lösung der Bindung $A_h$. Die Reaktionskraft wird also als äußere und damit eingeprägte Kraft angetragen. Damit wird das System kinematisch und kann einer gedachten (virtuellen) Verrückung unterworfen werden.
Nachdem die Auflagerkraft $A_h$ als eingeprägte Kraft abgetragen wurde, wird aus dem Festlager ein Loslager. Das System wird kinematisch. Um die Verschiebungsfigur zeichnen zu können, müssen alle Hauptpole bestimmt werden.
Das System besteht aus zwei Scheiben I und II (das Gelenk trennt beide Scheibe voneinander). Wir wenden die folgenden Polplanregeln an:
Regel 2: Ein Festlager ist der Hauptpol (i) der dort angeschlossenen Scheibe.
-> Das Festlager $B$ ist damit der Hauptpol (2) der dort angeschlossenen Scheibe II.
Regel 3: Der Hauptpol (i) einer Scheibe, die auf einem verschieblichen Lager gelagert ist, liegt auf einer Geraden (Polstrahl) senkrecht zur Bewegungsmöglichkeit dieses Lagers.
-> Der Hauptpol (1) der Scheibe I liegt auf einer Geraden senkrecht zur Bewegungsmöglichkeit des Loslagers $A$. Wir zeichnen die gestrichelte Gerade ein.
Regel 4: Das Gelenk, welches zwei Scheiben miteinander verbindet, ist deren gemeinsamer Nebenpol. Der Nebenpol ist ein relativer Drehpol.
Das Momentengelenk ist der Nebenpol (1,2), verbindet also beide Scheibe I und II miteinander.
Regel 5: Der Nebenpol (i,j) liegt stets auf der Verbindungslinie der beiden Hauptpole (i) und (j).
-> Der Nebenpol (1,2) liegt auf der Verbindungslinie zwischen den Hauptpolen (1) und (2). Wir kennen bereits den Hauptpol (2) und den Nebenpol (1,2). Wir verbinden diese miteinander. Mit der Kenntnis, dass der Hauptpol (1) nach Regel 3 auf der gestrichelten Geraden liegt, ergibt sich der Hauptpol (1) als Schnittpunkt beider Linien.
Wir haben nun beide Pole gegeben. Ausgehende von den Polen wird die Verschiebungsfigur gezeichnet. Wir müssen aber noch den Abstand vom Pol (1) zum Rahmen ermitteln:
Infolge der Geometrie ergibt sich ein Abstand vom Pol (1) zum Rahmen von $b$ (rote Linie).
Wir können nun beginnen die Verschiebungsfigur zu zeichnen. Wir suchen uns dazu eine Scheibe aus, mit der wir beginnen. Wir wählen die Scheibe II und wählen als Drehrichtung die Rechtsdrehung:
Um die Verschiebung der Scheibe II bestimmen zu können, gehen wir vom Hauptpol (2) aus. Wir verdrehen also den Hauptpol (2) infinitesimal um $\delta \varphi$ nach rechts.
Zunächst ziehen wir eine gestrichelte Linie zur Rahmenecke (Abstand b). Dort erfolgt dann - infolge der Verdrehung des Hauptpols (2) - eine senkrechte Verschiebung (im 90°-Winkel) der Ecke zur gestrichelten Linie. Der neue Eckpunkt ist dabei grün markiert. Die rote Linie ist dabei der Abstand um welchen sich die Ecke verschiebt.
Danach gehen wir vom Pol (2) zum Gelenk (gestrichelte Linie). Auch hier erfolgt eine senkreckte Verschiebung (zur gestrichelten Linie). Neuer Gelenkpunkt ist ebenfalls grün markiert.
Das Festlager selber bewegt sich nicht, weil es keine Bewegung zulässt (nur Verdrehungen). Wir haben alle Punkte für die Scheibe II gefunden.
Danach betrachten wir die Scheibe I. Infolge des Gelenks, verdreht sich die Scheibe I nicht - wie die Scheibe II - in einer Rechtsdrehung, sondern in einer Linksdrehung:
Wir gehen für die Scheibe I vom Hauptpol (1) aus. Wenn wir nun eine gestrichelte Linie zum Gelenk (Ausgangsposition) ziehen und dann eine Linie zum Gelenk nach der Verschiebung (grün), so sehen wir sofort, dass die Drehung hier in einer Linksdrehung um den Hauptpol (1) erfolgt.
Danach ziehen wir eine gestrichelte Linie vom Hauptpol (1) zum Eckpunkt (linke Ecke). Die Verschiebung des Eckpunktes erfolgt wieder senkrecht zur gestrichelten Linie und so, dass die Linksdrehung um den Pol (1) eingehalten wird. Damit kann sich der Eckpunkt nur horizontal nach rechts verschieben.
Da die Verschiebung des Lagers $A$ ebenfalls vom Pol (1) ausgehend um $\delta \varphi$ erfolgt, verlängern wir die Linie, die vom Pol (1) durch den neuen Eckpunkt (grün) verläuft. Das Lager $A$ verschiebt sich horizontal, demnach ist der neue Lagerpunkt gefunden.
Verbindung der Punkte führt uns dann auf die Verschiebungsfigur:
Wir können als nächstes das Prinzip der virtuellen Arbeiten anwenden. Uns interessieren nur die Verschiebungen der eingeprägten Kräfte, also $A_h$, $M$ und der Streckenlast. Um die Verschiebung der Streckenlast bestimmen zu können, bilden wir die Resultierenden auf beiden Seiten des Gelenks. Die Größe der Resultierenden ist gleich dem Flächeninhalt der rechteckigen Streckenlast:
$Rq_1 = a \cdot q_0$
$Rq_2 = a \cdot q_0$
Die Resultierende einer Streckenlast greift im Schwerpunkt der Fläche der Streckenlast an. Es ist eine rechteckige Streckenlast gegeben, weshalb die Resultierenden in der Mitte (a/2) liegen.
Wir wissen, dass eine Kraft dann Arbeit verrichtet, wenn Kraft und Weg dieselbe Wirkungslinie aufweisen. Demnach ist für die horizontale Kraft $A_h$ der horizontale Weg zu wählen und für die Resultierenden der Streckenlast $R_q$ die vertikale Verschiebung. Das Moment geht mit der Verdrehung $\delta \varphi$ ein.
Für die Verschiebungen legen wir fest:
$\delta s_A$ Verschiebung Lager $A$ und damit der Kraft $A_h$
$\delta s_{Rq_1}$ vertikale Verschiebung der Resultierenden (links)
$\delta s_{Rq_2}$ vertikale Verschiebung der Resultierenden (rechts)
Dabei gilt $\delta s_{Rq_1} = \delta s_{Rq_2}$.
Das Prinzip der virtuellen Arbeit lautet:
Methode
$dW = \sum F_i \cdot \delta r_i = 0$
Dabei ist $r_i$ der Weg der Verschiebung, welche auf derselben Wirkungslinie wie die Kraft $F_i$ liegt.
Einsetzen in den Arbeitssatz:
$dW = A_h \cdot \delta s_A - Rq_1 \cdot \delta s_{Rq_1} - Rq_2 \cdot \delta s_{Rq_2} + M \cdot \delta \varphi = 0$
Die virtuellen Arbeiten der Resultierenden $R_q$ werden negativ, weil die Resultierenden sich entgegen ihrer Richtung verschieben (Resultierenden zeigen vertikal nach unten, Verschiebung erfolgt vertikal nach oben). Das Moment geht positiv ein, weil die Verdrehung mit der Drehrichtung des Moments übereinstimmt.
Wir können die Verschiebungswege auch über den Winkel $\delta \varphi$ ausdrücken. Für die horizontale Verschiebung von $A_h$ betrachten wir den vertikalen Abstand zum Drehpunkt (1) multipliziert mit dem Verdrehwinkel:
$\delta s_A = 2b \cdot \delta \varphi$
Für die vertikale Verschiebung von $R_q$ betrachten wir den horizontalen Abstand zum Drehpunkt (Gelenk) multipliziert mit dem Verdrehwinkel. Die beiden Resultierenden weisen einen horizontalen Abstand vom Gelenk in Höhe von a/2 auf:
$\delta s_{Rq_1} = a/2 \cdot \delta \varphi$
$\delta s_{Rq_2} = a/2 \cdot \delta \varphi$
Einsetzen:
$dW = A_h \cdot 2b \cdot \delta \varphi - Rq_1 \cdot a/2 \cdot \delta \varphi - Rq_2 \cdot a/2 \cdot \delta \varphi + M \cdot \delta \varphi = 0$
Auflösen nach $A_h$:
$A_h \cdot 2b \cdot \delta \varphi = Rq_1 \cdot a/2 \cdot \delta \varphi + Rq_2 \cdot a/2 \cdot \delta \varphi - M \cdot \delta \varphi $
$A_h \cdot 2b = Rq_1 \cdot a/2+ Rq_2 \cdot a/2 - M $
Einsetzen von $Rq_1 = Rq_2 = a \cdot q_0$:
$A_h \cdot 2b = a \cdot q_0 \cdot a/2 + a \cdot q_0 \cdot a/2 - M $
$A_h \cdot 2b = \frac{a^2}{2} \cdot q_0 + \frac{a^2}{2} \cdot q_0 - M $
$A_h \cdot 2b = a^2 \cdot q_0 - M $
Methode
$A_h = \frac{a^2 q_0 - M}{2b}$
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