Nachdem wir festgestellt haben, dass das gegebene System statisch unbestimmt ist, müssen wir die statische Bestimmtheit herstellen, indem wir das System in statisch bestimmte Systeme zerlegen.
Wir haben insgesamt 4 unbekannte Lagerreaktionen gegeben, aber nur 3 Gleichgewichtsbedingungen. Es gilt also nach dem Abzählkriterium $f = 1$.
Die Idee des Kraftgrößenverfahrens ist nun, das System in statisch bestimmte Systeme zu „zerlegen“ und diese anschließend mittels des Prinzips der virtuellen Arbeit wieder zusammenzufügen.
Um das Ausgangssystem statisch bestimmt zu machen, müssen wir so viele unbekannte Kräfte aus dem System entfernen, bis dieses statisch bestimmt ist. Hierbei sind die zu entfernende Kräfte beliebig wählbar, das System darf nach dem Entfernen dieser aber nicht kinematisch werden.
Hinweis
Das System darf nach Entfernen der unbekannten Kräfte kein kinematisches System werden. Hier muss unbedingt aus dem Widerspruch am Polplan die nicht Verschieblichkeit geprüft werden.
0-System
Unser Ausgangssystem ist $1-fach$ statisch unbestimmt, d. h. wir müssen 1 unbekannte Kraft entfernen, damit das System nach dem Abzählkriterium statisch bestimmt ist.
Wir entfernen die unbekannte Lagerkraft $A_h$ aus dem statisch unbestimmten System. Damit wird aus dem Festlager $A$ ein Loslager, welches nur eine vertikale Kraft überträgt. Wir erhalten somit das statisch bestimmte 0-System:
Das 0-System ist nach dem Abzählkriterium statisch bestimmt, weil es drei unbekannte Lagerreaktionen (keine weiteren Zwischenkräfte) besitzt und diese aus den drei Gleichgewichtsbedingungen berechnet werden können.
Durch das Entfernen der Auflagerkraft $A_h$ wird das Festlager $A$ zu einem verschieblichen Lager (Loslager) modifiziert. Zunächst muss aber noch geprüft werden, ob das System ohne die Auflagerkraft $A_h$ auch wirklich statisch bestimmt und nicht kinematisch ist. Das Abzählkriterium reicht hier nicht aus. Es ist der Beweis über den Widerspruch im Polplan zu erbringen.
Widerspruch im Polplan
Wir haben nun also rechts das Festlager (Hauptpol) und links das Loslager (geometrischer Ort). Die Wirkungslinie des Loslagers ist immer senkrecht zur Verschiebung des Lagers gegeben. Die Wirkungslinie des Loslagers schneidet nicht den Hauptpol -> Widerspruch im Polplan und damit ist das System nicht kinematisch:
Wir haben also auch nach der hinreichenden Bedingung ein statisch bestimmtes und nicht kinematisches System gegeben, welches für die Anwendung des Kraftgrößenverfahrens zulässig ist.
1-System
Die entfernte Lagerreaktion wird nun jedoch nicht einfach weggelassen sondern in ein zweites System mit der Größe $X_1 = 1$ übernommen. In diesem System wirkt nur die $1$-Kraft und sonst keine weiteren Kräfte. Die modifizierten Lager bleiben bestehen (A Loslager, B Festlager). Dieses System wird als 1-System bezeichnet:
Dieses System ist in jedem Fall sowohl nach der notwendigen als auch nach der hinreichenden Bedingung statisch bestimmt und muss nicht weiter überprüft werden. Voraussetzung ist natürlich, dass das 0-System vorher auf statische Bestimmtheit überprüft worden ist.
Im nächsten Schritt werden für beide Systeme separat die Lagerreaktionen berechnet.
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