Die vorhandenen Spannungen werden nach ihrer geometrischen Ausrichtung im Bauteil unterschieden und auf verschiedenem Wege berechnet. Um nicht vektoriell rechnen zu müssen werden die äußeren Beanspruchungen so zerlegt oder umgerechnet, dass die Anteile senkrecht (normal) und tangential zum betrachteten Querschnitt separat berechnet werden können. Die Normalspannungen werden mit $\sigma$ bezeichnet, die Tangentialspannungen mit $\tau$. Wenn sowohl Tangential- als auch Normalspannungen in relevanter Größe vorhanden sind, liegt ein "Mehrachsiger Spannungszustand" vor, bei dem beide rechnerisch wieder zusammengeführt werden.
Darüber hinaus gibt es Beanspruchungen, die separat berechnet werden müssen, wie
- Hertz'sche Pressung,
- Lochleibungsdruck und
- Flächenpressung.
Normalspannungen
Die in den meisten Fällen kritischen Spannungen sind die Normalspannungen Zug, Druck und Biegung. Die Spannungsrichtung liegt hier genau senkrecht zum betrachteten Querschnitt.
Zugspannung:
Wenn an den Enden eines rotationssymmetrischen Bauteils, beispielsweise eines Stabes, eine Zugkraft in der Mitte angreift, entsteht im Inneren des Stabes eine Zugspannung. Im Bild sind oben die äußeren Kräfte und der Querschnitt gezeigt, unten ist die linke Hälfte des Stabes "freigemacht", indem die rechte Hälfte entfernt und durch die innere Spannung ersetzt wurde.
Diese Zugspannung kann an einem beliebigen senkrecht zur Mittelachse liegenden Querschnitt innerhalb des Stabes wie folgt berechnet werden:
$\sigma_z = \dfrac{F_z}{A}$
Dabei ist $F_z$ immer ein positiver Wert.
Stellt man die vorstehende Gleichung wieder nach $F_z$ um, wird deutlich, dass das System sich ordnungsgemäß im Gleichgewicht befindet, weil am freigemachten Ende mit $\sigma_z * A$ eben genau wieder die gleichgroße Gegenkraft zur äußeren Kraft $F_z$ anliegt.
Der Stab verlängert sich unter der Belastung gemäß $\epsilon_l = \dfrac{F_z}{A*E} = \dfrac{{\Delta}l}{l_0}$.
Druckspannung:
Die Druckspannung ist rechnerisch dasselbe wie die Zugspannung, jedoch mit negativem Vorzeichen. Oft wird deshalb auch zusammengefasst von $\sigma_{z,d}$ gesprochen. Das Schaubild ist entsprechend fast identisch:
Bei der Berechnung unterscheiden sich nur die Indizes, außerdem sind Werte von $F_d$ im Gegensatz zur Zugspannung grundsätzlich negativ:
$\sigma_d = \dfrac{F_d}{A}$ und $\epsilon_l = \dfrac{F_d}{A*E} = \dfrac{{\Delta}l}{l_0}$
Biegespannung:
Die Biegespannung wird normalerweise an den Stellen berechnet, wo das innere Biegemoment am stärksten ist, und an den Stellen, wo aufgrund von knapp bemessener Querschnittsgröße, ungünstiger Querschnittsform oder Kerben mit hohen Spannungen zu rechnen ist.
Im Querschnitt entsteht aufgrund von Biegung eine Zug- und eine Druckspannung auf den entgegengesetzten Seiten einer senkrecht zum Querschnitt liegenden Ebene, die parallel zum Momentenvektor ist und Biegeebene genannt wird. Bei gleichen Abständen dieser Ebene von den Querschnittsaußenrändern ($e_1 = e_2$) und einem symmetrischen Querschnitt sind Zug- und Druckspannung gleich groß.
In der Biegeebene, also an der Grenze zwischen Zug- und Druckspannung, sind die Verformung und die Spannung Null. In der Seitenansicht betrachtet, ist diese Ebene eine Linie und wird "neutrale Faser" genannt.
Zur Berechnung der Spannung aufgrund eines Momentes um in diesem Beispiel die x-Richtung werden die Formeln $\sigma_b(x) = \dfrac{M_{b,x}}{W_x}$ und $W_x = \dfrac{I_x}{e}$ benötigt. Die Lastrichtung muss für alle Werte übereinstimmen. Dabei sind die geometrieabhängigen Werte e der größere Abstand der neutralen Faser vom Querschnittsrand, I das axiale Flächenträgheitsmoment ("Flächenmoment zweiten Grades") in der betrachteten Biegerichtung und W das entsprechende Widerstandsmoment. Für gängige Querschnittsformen können die Formeln für I und W in Tabellen oder Katalogen von Profilen nachgeschlagen werden. Individuelle Formen können mit dem Satz von Steiner berechnet werden.
Vorsicht
Das Widerstandsmoment und das Flächenträgheitsmoment ist bei nicht-rotationssymmetrischen Querschnitten je nach Biegerichtung unterschiedlich!
Die Verformung variiert über die Länge des gebogenen Teils und ist stark von Art und Ort der Lasteinleitung abhängig.
Wird nur an den Enden eines gleichförmigen Stabes ein genau gegengleiches Biegemoment aufgebracht, kann der Krümmungsradius des Stabes mit $\rho = \dfrac{E*I}{M_b}$ berechnet werden.
Tangentialspannungen
Schub (Scherung)
Wenn an einem Querschnitt parallel zur Querschnittsebene entgegengesetzte Zug- oder Druckkräfte angreifen, entsteht im Querschnitt eine Schubspannung.
Das Teil wird auf Scherung beansprucht. Die mittlere Schubspannung wird je nach Lehrwerk mit $\tau_{sm}$ oder $\tau_a$ bezeichnet und ähnlich berechnet wie die Zug- und Druckspannung:
$\tau_{sm} = \dfrac{F_s}{A}$
Dabei wird vereinfachend angenommen, dass die Schubspannung gleichmäßig über den Querschnitt verteilt ist. Die Berechnung der exakten tatsächlichen Verteilung ist aufwendiger und normalerweise nicht erforderlich.
Reiner Schub wie im folgenden Bild gezeigt tritt nur theoretisch auf, weil dafür die entgegengesetzten Kräfte exakt kollinear entgegengesetzt wirken müssten. Normalerweise tritt Schubspannung in Kombination mit Biegespannung auf, weil zwischen den entgegengesetzten Kräften ein Abstand ist. Wenn Kräfte über Nietverbindungen oder Bolzenverbindungen übertragen werden ist der Abstand zwischen den beiden Krafteinleitungen jedoch so klein, dass die Biegung irrelevant ist. Das Bild ist entsprechend als Prinzipdarstellung zu verstehen.
Die Verformung wird in diesem Fall normalerweise nicht berechnet. Eventuelle Quetschverformungen können in Sonderfällen gesondert betrachtet werden.
Bei mehreren dicht hintereinander liegenden Scherebenen ist außerdem zu beachten, dass der wechselseitige Einfluss in die Berechnung einbezogen werden muss.
Torsion
Torsionsspannung entsteht, wenn an den Enden eines Bauteils / Stabs entgegengesetzte Momente angreifen, deren Vektoren senkrecht zur betrachteten Querschnittsfläche stehen. Bei kreisförmigen Querschnitten ist die tangentiale Spannung dabei linear verteilt. In der Mitte der rotatorischen Verformung eines Teils mit rotationssymmetrischem Querschnitt ist wie bei der Biegung eine neutrale Faser. Das Spannungsmaximum ist wie bei der Biegung am von der neutralen Faser am weitesten entfernten Querschnitt zu finden. Entlang der Längsachse eines konstanten Querschnitts ist die Torsionsspannung überall gleich groß. Sie wird mit $\tau_t = \dfrac{T}{W_p}$ berechnet, wobei $W_p$ das geometrieabhängige polare Widerstandsmoment ist, das ebenso wie das polare Flächenträgheitsmoment $I_p$ nicht mit seinem axialen Pendant für die Biegung verwechselt werden darf und in den bereits genannten Tabellen nachgeschlagen oder für Sonderfälle berechnet werden kann. Das Torsionsmoment wird, um es gedanklich vom Biegemoment abzugrenzen, T bezeichnet.
Da die Torsion geometrisch besonders schwer vorzustellen ist, sind im Bild verschiedene Blickrichtungen und Freistellungen Teils gezeigt.
Der Verdrehwinkel $\Psi$ ist von der Länge l des tordierten Bauteils sowie dem Schubmodul G des Werkstoffes abhängig und kann bei konstantem Querschnitt berechnet werden mit: $Psi = \dfrac{T * l}{G * I_p}$
Anmerkungen zu Biegespannung und Torsion:
Das Widerstandsmoment "W" und das Flächenträgheitsmoment "I" werden aus der Querschnittsgeometrie berechnet.
Dabei ist zwischen polarem Widerstandsmoment für Torsionsbelastung und axialem Widerstandsmoment für Biegebelastung zu unterscheiden.
Es gibt Tabellen mit den Formeln für die gängigsten Querschnittsformen, außerdem werden zu vielen Konstruktionsprofilen die Werte explizit im Katalog oder der Norm angegeben; die Widerstands- und Flächenträgheitsmomente asymmetrischer oder zusammengesetzter Querschnitte können mit dem Satz von Steiner berechnet werden.
Die Biegelinien für gängige Belastungsfälle und Querschnitte können anhand von Standardformeln, die beispielsweise in "Dubbel - Taschenbuch (!?) für den Maschinenbau", "Hütte - Ingenieurwissen" oder "Schaeffler - Technisches Taschenbuch" zu finden sind, berechnet werden. Zur Herleitung von Biegelinien sei auf das Fach "Technische Mechanik" verwiesen.
Richtung | Beanspruchung | Spannung | Verformung |
normal | Zug / Druck | $\sigma_{z,d} = \dfrac{F_{z,d}}{A}$ | $\epsilon_l = \dfrac{F_{z,d}}{A*E} = \dfrac{{\Delta}l}{l_0}$ |
Biegung | $\sigma_b = \dfrac{M_b}{W_b}$ | $\rho = \dfrac{E*I}{M_b}$ | |
tangential | Scherung | $\tau_{sm} = \dfrac{F_s}{A}$ | n. v. |
Torsion | $\tau_t = \dfrac{T}{W_p}$ | $Psi = \dfrac{T * l}{G * I_p}$ |
Die vorgenannten Spannungen sind jeweils Einzelspannungen und treten oft nicht alleine auf. Meist liegen mehrere geometrisch verschiedene Belastungen gleichzeitig vor oder eine Belastung erfolgt nicht genau in einer dieser geometrischen Richtungen sondern ruft Spannungen in verschiedenen Richtungen hervor. Schräg an einen Querschnitt angreifende Kräfte sollten mit den Methoden der Technischen Mechanik in Normal- und Tangentialkräfte zerlegt werden.
Wenn mehrere Spannungsarten gleichzeitig auftreten müssen diese rechnerisch überlagert werden. Gleichartige achsenparallele Spannungen (also nur Normalspannungen oder nur Tangentialspannungen) können zu einer resultierenden Spannung $\sigma_{res}$ oder $\tau_{res}$ addiert werden, man spricht dann von einem "Einachsigen Spannungszustand". Bei zusammengesetzter Belastung aus unterschiedlich gerichteten Spannungen liegt ein sogenannter "Mehrachsiger Spannungszustand" vor. Dazu gibt es ein eigenes Kapitel.
Für Maschinenelemente relevante Belastungen sind außerdem:
Flächenpressung und Lochleibungsdruck
Bei der Flächenpressung p werden zwei Teile an einer Kontaktfläche A mit einer Kraft F zusammengepresst:
$p = \dfrac{F}{A}$
Der Lochleibungsdruck ist eine Flächenpressung mit runden Oberflächen (annähernd) gleichen Durchmessers, beispielsweise eines Bolzens in einer Bohrung mit radial wirkender Kraft F. Dabei wird die in Kraftrichtung projizierte Fläche als A eingesetzt, im Falle des runden Bolzens also: $p = \dfrac{F}{b * d}$.
Um die zulässige Belastung für Flächenpressung zu ermitteln, wird bei zähen Werkstoffen der Werkstoffkennwert $R_e$ bei ruhender Belastung durch 1,2 und bei schwellender Belastung durch 2 geteilt. Bei spröden Werkstoffen wird $R_m$ durch 2 bei ruhender und durch 3 bei schwellender Belastung geteilt.
Hertz'sche Pressung
Wenn eine runde Oberfläche gegen eine ebene oder nicht deckungsgleiche Oberfläche gedrückt wird mit theoretischer Linien- oder Punktberührung entsteht Hertz'sche Pressung. Die Körper verformen sich aufgrund der Druckkrafteinwirkung, so dass eine Flächenberührung entsteht. Die Größe dieser Berührfläche und die Spannung, die dabei etwas unter der Oberfläche entsteht, können berechnet werden. Dazu gibt es einschlägige Formeln für verschiedene Geometriepaarungen, die bei Bedarf nachgeschlagen werden können.
Auch Knickung, Beulen und Kippen als Sonderformen der Druckbelastung sind für einige Maschinenelemente relevant und werden an den entsprechenden Stellen erklärt.
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