Inhaltsverzeichnis
In diesem Abschnitt wird der Drehimpuls und der Drehimpulssatz für das Massenpunktsystem aufgeführt und Anwendungsbeispiele aufgezeigt, welche die Anwendung des Drehimpulssatzes veranschaulichen sollen.
Drehimpuls
Der Drehimpuls $L^{(0)}$ eines Massenpunktes in Bezug auf einen Bezugspunkt $0$ (hier: Koordinatenursprung) ist definiert als das Moment des Impulses des Massenpunktes bezogen auf diesen Punkt $0$. Der Drehimpuls wird auch als Impulsmoment bezeichnet. In Vektorschreibweise wird dieser geschrieben zu (siehe Abschnitt Drehimpuls / Drehimpulssatz des vorherigen Kapitels):
Methode
$L^{(0)} = r \; \times \; p = r \; \times \; m \cdot v$
Dabei ist $\times$ das Kreuzprodukt. Der Drehimpuls des Massenpunktes $m_i$ eines Massenpunktsystems ergibt sich zu:
Methode
$L_i^{(0)} = r_i \; \times \; p_i = r_i \; \times \; m_i \cdot v_i$
Der Drehimpuls für das Massenpunktsystem wird bestimmt, indem die Summe der Drehimpulse der einzelnen Massenpunkte gebildet wird:
Methode
$L^{(0)} = \sum (r_i \; \times \; m_i \cdot v_i)$ Drehimpuls des Massenpunktsystems
mit
$L^{(0)} = \sum L_i^{(0)}$
Drehimpulssatz
Die Summe der Momente $M^{(0)} = \sum M_i^{(0)} = \sum r_i \times F_i + \sum r_i \times f_i$ aller äußeren und inneren Kräfte auf das Massenpunktsystem um den Punkt $0$ sollen mit dem Drehimpuls $L^{(0)} = \sum (r_i \; \times \; m_iv_i)$ in Beziehung gesetzt werden.
Merke
Dabei heben sich auch hier wieder die inneren Kräfte gegenseitig auf, d.h. die Summe der Momente ist: $M^{(0)} = \sum M_i^{(0)} = \sum r_i \times F_i$.
Den Zusammenhang zwischen Drehimpuls und Summe der Momente des Massenpunktsystems bezeichnet man als Drehimpulssatz. Die Herleitung des Zusammenhangs kann im Abschnitt Drehimpuls / Drehimpulssatz des vorherigen Kapitels Kinetmatik des Massenpunktes entnommen werden. Hier soll nun sofort der Drehimpulssatz für das Massenpunktsystem aufgezeigt werden:
Methode
$\frac{dL^{(0)}}{dt} = M^{(0)}$
Das bedeutet also, dass die Ableitung des Drehimpulses des Massenpunktsystems nach der Zeit $\frac{dL^{(0)}}{dt}$ gleich der Summe der Momente aller äußeren Kräfte auf das Massenpunktsystem um den Punkt $0$ entspricht.
Damit ergibt sich der Drehimpulssatz formel zu:
Methode
$\frac{dL^{(0)}}{dt} = M^{(0)} = \sum (r_i \times m_i \cdot \frac{dv_i}{dt})$
Die Ableitung des Drehimpulses ist gleich der Summe aller Momente die auf die einzelnen Massenpunkte im Massenpunktsystem wirken. Dabei ist die Summe aller Momente: $M^{(0)} = \sum M_i^{(0)} = \sum r_i \times F_i$.
Sonderfall: Kreisbewegung
Es wird hier noch als Sonderfall die Kreisbewegung betrachtet. Bei der Kreisbewegung ergibt sich der Drehimpuls des Massenpunktsystems wie folgt:
Methode
$L^{(0)} = \sum (r_i \; \cdot \; m_i \cdot v_i)$ Drehimpuls
Der Drehimpulssatz des Massenpunktsystems ergibt sich dann zu:
Methode
$\frac{dL^{(0)}}{dt} = M^{(0)} = \sum (r_i \cdot m_i \cdot \frac{dv_i}{dt})$ Drehimpulssatz
Bei der Kreisbewegung fällt das Kreuzprodukt $\times$ weg.
Will man das ganze in Abhängigkeit vom Winkel ausdrücken, so ergibt sich der Drehimpuls mit $v_i = r_i \dot{\varphi} = r_i \omega$:
Methode
$L^{(0)} = \sum (r_i^2 \; \cdot \; m_i \cdot \dot{\varphi})$ Drehimpuls
mit
$\dot{\varphi} = \omega$ Winkelgeschwindigkeit
Der Drehimpulssatz in Abhängigkeit vom Winkel ergibt sich dann zu:
Methode
$\frac{dL^{(0)}}{dt} = M^{(0)} = \sum (r_i^2 \cdot m_i \cdot \ddot{\varphi})$ Drehimpulssatz
mit
$\ddot{\varphi} = \dot{\omega}$ Winkelbeschleunigung
Beispiel: Drehimpulssatz Massenpunktsystem
Beispiel
Gegeben seien die vier Kugeln mit der Masse $m = 10 kg$. Die Kugeln sind starr an einem Kreuzrahmen ($r = 0,5 m$) befestigt, an welchem ein Drehmoment $M(t) = 0,4 \frac{Nm}{s} t + 0,6 Nm$ angreift. Die Masse des Kreuzrahmens soll vernachlässigt werden.
Wie groß ist die Geschwindigkeit der Kugeln zum Zeitpunkt $t_1 = 5s$, wenn die Kugeln aus der Ruhe heraus bewegt werden?
Es handelt sich in diesem Beispiel um eine Kreisbewegung. Der Drehimpulssatz des Massenpunktsystems ergibt sich dann zu:
$\frac{dL^{(0)}}{dt} = M^{(0)} = \sum (r_i \cdot m_i \frac{dv_i}{dt})$
Es werden zunächst die Summe der Momente bezogen auf den Punkt $P$ an der vertikalen Stange, an dem sich die horizontalen Stangen kreuzen:
$\curvearrowleft : M^{(P)} = M(t) $
Die Gewichtskräfte der Kugeln $G = mg$ haben hier keinen Einfluss auf die Drehung um die vertikale Stange ($z$-Achse). Die Gewichtskräfte sind nach unten gerichtet, liegen demnach auf der $z$-Achse. Deswegen wird hier nur das Moment $M(t)$ betrachtet, welches positiv ist, da die Drehung gegen den Uhrzeigerinn (Linksdrehung) erfolgt.
Einsetzen von $M(t) = 0,4 \frac{Nm}{s} t + 0,6 Nm$ ergibt:
$M^{(P)} = 0,4 \frac{Nm}{s} t + 0,6 Nm$.
Einsetzen in den Drehimpulssatz:
$0,4 \frac{Nm}{s} t + 0,6 Nm = \sum (r_i \cdot m_i \frac{dv_i}{dt})$
Da $r$ und $m$ und $v$ für alle $4$ Kugeln gleich ist, gilt:
$0,4 \frac{Nm}{s} t + 0,6 Nm = 4 \cdot r \cdot m \cdot \frac{dv}{dt}$
Einsetzen der Werte:
$0,4 \frac{Nm}{s} t + 0,6 Nm = 4 \cdot 0,5 m \cdot 10 kg \cdot \frac{dv}{dt}$
Auflösen nach $dv$ und Integration:
$\int_{v_0}^{v_1} dv = \int_{t_0}^{t_1} (\frac{1}{20} \cdot 0,4 \frac{Nm}{s} \cdot t + \frac{1}{20} \cdot 0,6 Nm ) dt$
Es gilt $t_0 = 0$ und $v_0 = 0$ (Bewegung aus der Ruhe heraus):
$v_1 = \frac{1}{40} \cdot 0,4 \frac{Nm}{s} \cdot t_1^2 + \frac{1}{20} \cdot 0,6 Nm \cdot t_1$
Einsetzen von $t_1 = 5s$:
$v_1 = \frac{1}{40} \cdot 0,4 \frac{Nm}{s} \cdot (5s)^2 + \frac{1}{20} \cdot 0,6 Nm \cdot 5s$
Methode
$v_1 = 0,4 \frac{m}{s}$
Die Geschwindigkeit der Kugeln beträgt zum Zeitpunkt $t_1 = 5s$ genau $v_1 = 0,4 \frac{m}{s}$.
Beispiel: Drehimpulssatz (Winkel) Massenpunktsystem
Beispiel
Gegeben sei das obige Pendel, an welchem 2 Kugeln befestigt sind. Die Kugeln seinen an einer starren Stangen befestigt ($l = 30 cm$). Das Beispiel ist bereits im gleichnamigen Abschnitt des Kapitels Kinetik des Massenpunktes mit einer Kugel aufgeführt worden. Wie sieht die Bewegungsgleichung aus, wenn das Pendel aus der Ruhe in Bewegung gesetzt wird?
Es handelt sich hierbei wieder um eine Kreisbewegung. Das bedeutet, dass der folgenden Drehimpulssatz angewandt wird:
Methode
$\frac{dL^{(0)}}{dt} = M^{(0)} = \sum (r_i^2 \cdot m_i \cdot \ddot{\varphi})$
mit
$\dot{\omega} = \ddot{\varphi}$ Winkelbeschleunigung
Es ist hier der Drehimpulssatz in Abhängigkeit vom Winkel gewählt worden, da sich das Pendel in der Zeichenebene bewegt (es schwingt nach links und rechts) und somit der Winkel $\varphi$ verwendet werden kann, um die Bewegungsgleichung anzugeben. Dazu wird der Winkel $\varphi$ von der Vertikalen (Ruheposition des Pendels) in positiver Drehrichtung (gegen den Uhrzeigersinn) eingeführt:
Es wird zunächst die Summe aller Momente $M^{(A)}$ um den Bezugspunkt $A$ bestimmt. Welche Kräfte fließen in das Moment ein? Es müssen alle äußeren Kräfte und Momente berücksichtigt werden, welche die Drehung beeinflussen. Äußere Momente sind hier nicht gegeben, aber die äußeren Kräfte $G_1$ und $G_2$. Bei den Kräften muss noch zusätzlich der Hebelarm berücksichtigt werden. Hierfür verschiebt man die Kraft solange parallel zu sich selbst, bis die Wirkungslinie den Bezugspunkt schneidet:
In der obigen Grafik ist der Hebelarm von $G_1$ die blaue Linie und der Hebelarm von $G_2$ die rote Linie. Mittels Winkelberechnungen im Dreieck kann man nun den Hebelarm bestimmen. Man betrachtet zunächst das kleine Dreieck. Hierbei ist die gestrichelte Linie mit der Länge $l$ die Hypotenuse und die blaue Linie die Gegenkathete $x_1$, welche gesucht wird:
$\sin (\varphi) = \frac{\text{Gegenkathete}}{\text{Hypotenuse}} = \frac{x_1}{l} $
Auflösen nach der Gegenkathete ergibt den Hebelarm für $G_1$:
$x_1 = l \sin (\varphi)$
Den Hebelarm für $G_2$ (rote Linie) erhält man durch Betrachtung des großen Dreiecks. Hier ist die Hypotenuse $2l$ und die Gegenkathete sei $x_2$ (Hebelarm):
$\sin (\varphi) = \frac{x_2}{2l}$
$x_2 = 2l \sin (\varphi)$
Es kann nun die Summe der Momente um den Bezugspunkt $A$ bestimmt werden:
$\curvearrowleft: M^{(A)} = -G_1 \cdot l \sin (\varphi) - G_2 \cdot 2l \sin (\varphi)$
Das Minuszeichen resultiert, weil die Kräfte entgegen der positiven Richtung drehen. Die Kräfte drehen das Pendel also IM Uhrzeigersinn und deswegen müssen diese ein negatives Vorzeichen erhalten. Grund dafür ist, dass die Kräfte dazu führen, dass diese das Pendel nicht zur Drehung bewegen, sondern genau das Gegenteil. Diese Kräfte führen dazu, dass das Pendel wieder aufhört sich zu bewegen und am Ende wieder in der Ruheposition verharrt.
Mit $G_1 = m_1g$ und $G_2 = m_2g$ ergibt sich:
$M^{(A)} = -m_1g \cdot l \sin (\varphi) - m_2g \cdot 2l \sin (\varphi)$
Es kann als nächstes der Drehimpulssatz angewandt werden:
$\frac{dL^{(0)}}{dt} = M^{(0)} = \sum (r_i \cdot m_i \ddot{\varphi})$
Einsetzen von $M^{(A)}$:
$ -m_1g \cdot l \sin (\varphi) - m_2g \cdot 2l \sin (\varphi) = \sum (r_i^2 \cdot m_i \ddot{\varphi})$
Dabei ist $r_i$ der Radius der Kugel $m_i$. Das bedeutet also der Radius von der Kugel $1$ ist $r_1 = l$ und der Radius der Kugel $2$ ist $r_2 = 2l$:
$ -m_1g \cdot l \sin (\varphi) - m_2g \cdot 2l \sin (\varphi) = l^2 \cdot m_1 \cdot \dot{\omega} + (2l)^2 \cdot m_2 \cdot \ddot{\varphi}$
Zusammenfassen:
$ -l \; g \; \sin (\varphi) (m_1 + 2m_2) = l^2 \cdot \ddot{\varphi} (m_1 + 4m_2)$
Auflösen nach der Winkelbeschleunigung $\ddot{\varphi}$:
Methode
$\ddot{\varphi} = - \frac{g}{l} \frac{m_1 + 2m_2}{m_1 + 4m_2} \sin (\varphi)$
Die obige Gleichung entspricht der Bewegungsgleichung. Angenommen $m_1 = 5 kg$ und $m_2 = 10 kg$ und das Pendel wird um 30° ausgelenkt und dann losgelassen. So ergibt sich die Winkelbeschleunigung für die 30° Auslenkung (Pendel aus der Ruhelage, also der Vertikalen, um 30° gegen den Uhrzeigersinn bewegt und dann losgelassen):
$\ddot{\varphi} = - \frac{9,81 \frac{m}{s^2}}{0,3 m} \frac{5 kg + 2 \cdot 10 kg}{5 kg + 4 \cdot 10 kg} \sin (30°)$
$\ddot{\varphi} = -9,08 \frac{1}{s^2}$
Bei einer Auslenkung von 30°, bewegt sich das Pendel mit einer Winkelbeschleunigung von $-9,08 \frac{m}{s^2}$. Das negative Vorzeichen bei der Winkelbeschleunigung gibt an, dass sich mit jedem Pendelschlag die Winkelgeschwindigkeit verringert. Die hier angegebene Winkelbeschleunigung gilt nur für den Ausschlag des Pendels um 30° zur Vertikalen. Betrachtet man nun einen Winkel von 45°, so muss die Winkelbeschleunigung größer sein:
$\ddot{\varphi} = - \frac{9,81 \frac{m}{s^2}}{0,3 m} \frac{5 kg + 2 \cdot 10 kg}{5 kg + 4 \cdot 10 kg} \sin (45°)$
$\ddot{\varphi} = -12,85 \frac{m}{s^2}$
Tauscht man nun die Massen, also $m_1 = 10 kg$ und $m_2 = 5kg$ bei einem Winkel von 30°:
$\ddot{\varphi} = - \frac{9,81 \frac{m}{s^2}}{0,3 m} \frac{10 kg + 2 \cdot 5 kg}{10 kg + 4 \cdot 5 kg} \sin (30°)$
$\ddot{\varphi} = -10,9 \frac{m}{s^2}$
Es ist deutlich zu erkennen, dass bei dem Tausch der Massen, wobei die schwerere Kugel diesmal die obere ist, eine größere Winkelbeschleunigung resultiert, als wenn die schwerere Kugel unten ist.
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