Inhaltsverzeichnis
In diesem Abschnitt wird ein weiteres Beispiel zur Koordinatentransformation aufgezeigt.
Beispiel: Koordinatentransformation mit unterschiedlichen Schnittrichtungen
Beispiel
Gegeben sei die obige Scheibe, für welche die Normalspannungen und Schubspannungen für die dort angegebenen Schnittrichtungen a-a und b-b bekannt sind.
Bestimmen Sie die Spannungen für den Schnitt c-c!
Die obigen Schnitte sollen zunächst getrennt voneinander betrachtet werden, damit die Vorgehensweise verständlich wird. Es wird zunächst der Schnitt a-a betrachtet:
Wir gehen wie immer in der Ausgangssituation von einer horizontalen $x$-Achse und einer senkrechten $y$-Achse aus. Im obigen Bild ist die erste Grafik die Ausgangssituation für positive Spannungen.
Wir betrachten dann den Schnitt a-a. Es wird ein horizontaler Schnitt durch das Bauteil (z.B. Scheibe) durchgeführt. Die Normalspannung $\sigma_x$ liegt immer senkrecht auf diesem Schnitt, $\sigma_y$ damit parallel zum Schnitt. Das bedeutet gleichzeitig, dass die zum Schnitt a-a gehörende $x^{aa}$-Achse eine senkrechte Achse darstellt (in Richtung von $\sigma_x$) und die $y^{aa}$-Achse parallel zum Schnitt liegt und damit horizontal ist (in Richtung von $\sigma_y$).
Wir legen nun also die $y^{aa}$-Achse durch den Schnitt a-a. Die $x^{aa}$-Achse liegt senkrecht dazu. Es ist deutlich zu erkennen, dass das Ausgangskoordinatensystem um 90° zum a-a-Schnitt gedreht ist. Die $x$-Achse des Ausgangskoordinatensystem wird also MIT dem Uhrzeigersinn (Rechtsdrehung) um 90°-gedreht, um die $x^{aa}$-Achse zu erhalten. Eine Rechtsdrehung bedeutet, dass der Winkel negativ berücksichtigt werden muss. Die in der Aufgabenstellung gegeben Spannungen tragen wir so ab, wie diese gegeben sind. Eine Spannung zeigt senkrecht nach oben, die andere nach horizontal nach rechts. Wir vergleichen dann die Spannungen des um 90° gedrehten Ausgangskoordinatensystems mit den gegeben Spannungen und sehen, dass die Schubspannung $\tau_{xy^{aa}}$ genau entgegengesetzt gerichtet ist und damit negativ berücksichtigt wird.
Es gilt also:
Methode
$\sigma_x^{aa} = 50 \frac{N}{mm^2}$
$\tau_{xy}^{aa} = -50 \frac{N}{mm^2}$
Gegeben ist allerdings nicht die Normalspannung $\sigma_y^{aa}$, welche in $y^{aa}$-Richtung zeigt und für einen zu a-a senkrechten Schnitt gilt. Das bedeutet schon einmal, dass die Formeln aus dem vorherigen Abschnitt zur Koordinatentransformation so nicht angewandt werden können, um die Normal- und Schubspannungen für einen anderen Schnitt (hier c-c) zu bestimmen, denn hier müsste auch $\sigma_y^{aa}$ gegeben sein.
Merke
Nicht vergessen: Die Schubspannungen, welche ein vertauschtes Indexpaar besitzen, sind identisch, also $\tau_{yx} = \tau_{xy}$.
Es ist aber zusätzlich noch der Schnitt b-b gegeben:
Der Schnitt b-b ist im 135°-Winkel zur unteren x-Achse gegeben. Bei der Koordinatentransformation legt man nun die neue $y^{bb}$-Achse durch diesen Schnitt. Die neue $x^{bb}$-Achse liegt dabei senkrecht zur $y^{bb}$-Achse. Bei einem Schnitt von 135° zur x-Achse liegt das neue $x^{bb}, y^{bb}$-Koordinatensystem im Gegensatz zum $x,y$-Koordinatensystem um 45° im Uhrzeigersinn gedreht vor. Auch hier handelt es sich um eine Drehung des Ausgangskoordinatensystem in einer Rechtsdrehung, damit wird der Winkel negativ.
Merke
Da IM Uhrzeigersinn gedreht wird, ist $\alpha = -45°$.
Die Formeln aus dem vorherigen Abschnitt gelten für positives $\alpha$, wenn GEGEN den Uhrzeigersinn (Linksdrehung) gedreht wird. Entsprechend muss $\alpha = -45°$ hier negativ berücksichtigt werden. Dreht man nun die Scheibe mit den in positive Richtung zeigenden Spannungen ebenfalls um 45° mit dem Uhrzeigersinn, so hat man die positiven Spannungen gegeben (siehe Grafik 3 im oberen Bild). In der Aufgabenstellung sind die Spannungen in negative Richtung gegeben. Die Normalspannung $\sigma_x^{bb} = -22 \frac{N}{mm^2}$ und die Schubspannung $\tau_{xy}^{bb} = -22 \frac{N}{mm^2}$ werden also negativ berücksichtigt.
Methode
$\tau_{xy}^{bb} = -22 \frac{N}{mm^2}$
$\sigma_x^{bb} = -22 \frac{N}{mm^2}$.
Es ist nun also so, dass zum einen die Normalspannung und Schubspannung für den Schnitt a-a und für den Schnitt b-b gegeben ist. Für die Anwendung der Formeln zur Koordinatentransformation müssten ebenfalls die Normalspannungen für die dazu senkrechten Schnitte gegeben sein, also $\sigma_y^{aa}$ für den Schnitt senkrecht zu a-a und $\sigma_y^{bb} $ für den Schnitt senkrecht zu b-b. Alternativ kann man nun mittels der Invarianten diese Normalspannungen bestimmen.
Methode
$I_{\sigma} = \sigma_x + \sigma_y = \sigma_x^* + \sigma_y^*$
$II_{\sigma} = \sigma_x \cdot \sigma_y - \tau_{xy}^2 = \sigma_x^* \cdot \sigma_y^* - \tau_{xy^*}^2$
Die Summe der beiden senkrecht aufeinander stehenden Normalspannungen ist für jeden Schnitt gleich (Invariante 1).
Wir können die Formel auf die beiden obigen Schnitte anwenden:
(1) $I_{\sigma} = \sigma_x^{aa} + \sigma_y^{aa} = \sigma_x^{bb} + \sigma_y^{bb}$
Demnach ergibt sich für die zweite Invariante:
(2) $II_{\sigma} = \sigma_x^{aa} \cdot \sigma_y^{aa} - \tau_{xy^{aa}}^2 = \sigma_x^{bb} \cdot \sigma_y^{bb} - \tau_{xy^{bb}}^2$
Einsetzen der Werte in (1):
$ 50 + \sigma_y^{aa} = -22 + \sigma_y^{bb}$
Auflösen nach $\sigma_y^{aa}$:
(3) $\sigma_y^{aa} = -72 + \sigma_y^{bb}$
Einsetzen in (2):
$II_{\sigma} = 50 \cdot (-72 + \sigma_y^{bb}) - (-50)^2 = -22 \cdot \sigma_y^{bb} - (-22)^2$
Auflösen nach $\sigma_y^{bb}$:
Methode
$\sigma_y^{bb} = 78 \frac{N}{mm^2}$
Einsetzen in (3) um $\sigma_y^{aa}$ zu bestimmen:
$\sigma_y^{aa} = -72 + \sigma_y^{bb} = -72 + 78 = 6$
Methode
$\sigma_y^{aa} = 6 \frac{N}{mm^2}$.
Für den Schnitt a-a und b-b haben wir nun beides mal positive Spannungen ermittelt.
Bestimmung der Spannungen für den Schnitt c-c mittles a-a
Da nun die fehlende Normalspannung $\sigma_y^{aa}$ bekannt ist, können als nächstes die Spannungen für den Schnitt c-c bestimmt werden. Der Schnitt c-c wird in einem Winkel von 45° zur unteren x-Achse durchgeführt (siehe Aufgabenstellung). Die $y^{cc}$-Achse wird in diesen Schnitt gelegt und die $x^{cc}$-Achse steht senkrecht dazu. Der Schnitt a-a weist aber eine nach unten gerichtete senkrechte $x^{aa}$-Achse auf. Wir müssen also den gesamten Winkel von 90° + 45° berücksichtigen:
Dies entspricht der Drehung des $x^{aa}, y^{aa}$-Koordinatensystems um 135° gegen den Uhrzeigersinn. Es liegt demnach eine positive Drehrichtung und damit ein positiver Winkel $\alpha$ vor.
Die Formeln für die Koordinatentransformation sind:
$ \sigma_{x^*} = \frac{1}{2} (\sigma_x + \sigma_y) + \frac{1}{2} ( \sigma_x - \sigma_y) \cos (2 \alpha) + \tau_{xy}\sin (2 \alpha) $
$ \sigma_{y^*}= \frac{1}{2} (\sigma_x + \sigma_y) + \frac{1}{2} ( -\sigma_x + \sigma_y) \cos (2 \alpha) - \tau_{xy}\sin (2 \alpha) $
$\tau_{x^*y^*} = \tau_{y^*x^*} = \frac{1}{2}(-\sigma_x + \sigma_y) \sin (2 \alpha) + \tau_{xy} \cos (2 \alpha)$
Es wird vom Schnitt a-a ausgegangen. Die Spannungen sind gegeben bzw. berechnet worden. Für den Schnitt c-c wird dieses dann um 135° in positive Drehrichtung gedreht ($\alpha = 135°)$. Demnach werden die folgenden Spannungen berücksichtigt: $\sigma_y^{aa} = \sigma_y = 6 \frac{N}{mm^2}$, $\sigma_x^{aa} = \sigma_x = 50 \frac{N}{mm^2}$ und $\tau_{xy^{aa}} = \tau_{xy} = -50 \frac{N}{mm^2}$. Es können nun die Spannungen für den Schnitt c-c bestimmt werden:
$ \sigma_{x^{cc}} = \frac{1}{2} (50 + 6) + \frac{1}{2} ( 50 - 6) \cos (2 \cdot 135°) + (-50) \sin (2 \cdot 135°) = 78$
$ \sigma_{y^{cc}}= \frac{1}{2} (50 + 6) + \frac{1}{2} ( -50 + 6) \cos (2 \cdot 135°) - (-50) \sin (2 \cdot 135°) = -22$
$\tau_{xy^{cc}} = \frac{1}{2}(-50 + 6) \sin (2 \cdot 135°) + (-50) \cos (2 \cdot 135°) = 22$.
Es ist deutlich zu erkennen, dass die Normalspannungen im Gegensatz zum Schnitt b-b vertauscht sind. Das liegt daran, dass der Schnitt b-b senkrecht (im 90°-Winkel) zu dem Schnitt c-c liegt.
Bestimmung der Spannungen für den Schnitt c-c mittels b-b
Alternativ hätte man auch als Ausgangschnitt den Schnitt b-b wählen können, um die Spannungen für den Schnitt c-c zu bestimmen. Der Schnitt c-c steht senkrecht (im 90°-Winkel) auf dem Schnitt b-b. Wählt man nun also die Spannungen für den Schnitt b-b als Ausgangssituation, so muss man das Koordinatensystem also um 90° in positive Richtung (mit dem Uhrzeigersinn) drehen, um die Spannungen für den Schnitt c-c zu erhalten:
Es werden nun die Spannungen $\sigma_x^{bb} = -22 \frac{N}{mm^2}$, $\sigma_y^{bb} = 78 \frac{N}{mm^2}$ und $\tau_{xy}^{bb} = -22 \frac{N}{mm^2}$ mit dem Winkel $\alpha = 90°$ eingesetzt:
$\sigma_x^{cc} = 78 \frac{N}{mm^2}$
$\sigma_x^{cc} = -22 \frac{N}{mm^2}$
$\tau_{xy}^{cc} = 22 \frac{N}{mm^2}$.
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