Inhaltsverzeichnis
Wie in den vorherigen Abschnitten gezeigt, sind die Spannungen $\sigma_{x^*}, \; \sigma_{y^*}$ und $\tau_{x^*, y^*}$ abhängig von der Schnittrichtung, also vom Winkel. Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit dem Winkel, für welchen die Spannungen Extremwerte annehmen.
In diesem Abschnitt werden zunächst die HauptNormalspannungen hergeleitet, also diejenigen Normalspannungen, die bei einem bestimmten Winkel $\alpha^*$ Extremwerte annehmen (siehe Grafik b). Dazu wird folgendermaßen vorgegangen:
1. Ableitung von $\sigma_x^*$ bzw. $\sigma_y^*$ nach $\alpha$ und Nullsetzen dieser.
2. Den ermittelten Winkel (Hauptrichtungen) einsetzen in die Ausgangsgleichung $\sigma_x^*$ bzw. $\sigma_y^*$.
3. Trigonometrische Umformungen und p/q-Formel anwenden, um dann die Hauptspannungen zu bestimmen.
Merke
Zum Schluss folgt die Zusammenfassung der Gleichungen.
Ableitung und Bestimmung der Hauptrichtungen
Die Berechnung der Hauptnormalspannungen erfolgt über die erste Ableitung der Normalspannung $\sigma_{x^*}$ bzw. $\sigma_{y^*}$. Beide Vorgehensweisen sind identisch, weshalb hier nur die Normalspannung $\sigma_{x^*}$ betrachtet wird.
Aus $ \sigma_{x^*} = \frac{1}{2} (\sigma_x + \sigma_y) + \frac{1}{2} ( \sigma_x - \sigma_y) \cos (2 \alpha) + \tau_{xy}\sin (2 \alpha) $ wird durch die erste Ableitung:
(1) $ \frac{d \sigma_{x^*}}{d\alpha} = -(\sigma_x - \sigma_y) \sin (2 \alpha) + 2 \tau_{xy}\cos (2\alpha) = 0 $
Umstellen von (1) nach $\alpha = \alpha^*$ unter Verwendung der trigonometrischen Umformungen $\tan (2 \alpha) = \frac{\sin (2 \alpha)}{\cos (2 \alpha)}$:
Methode
Merke
Wie die 2. Gleichung zeigt, stehen die zwei Hauptrichtungen senkrecht aufeinander.
Hauptnormalspannung berechnen
Die zu diesen zwei Schnittrichtungen gehörenden Normalspannungen, also die Hauptnormalspannungen, erhält man, indem man $\tan (2 \alpha^*) $ in die Ausgangsgleichung $\sigma_x^*$ bzw. $\sigma_y^*$ einsetzt.
Merke
Trigonometrische Umformungen:
$\cos (2 \alpha^*) = \frac{1}{\sqrt{1 + \tan(2 \alpha^*)^2}}$
$\sin (2 \alpha^*) = \frac{\tan (2 \alpha^*)}{\sqrt{1 + \tan (2 \alpha^*)^2}}$
Unter Beachtung der trigonometrischen Umformungen erhält man für $\sigma_{x^*}$:
$\sigma_{x^*} = \frac{1}{2} (\sigma_x + \sigma_y) + \frac{1}{2} ( \sigma_x - \sigma_y) \frac{1}{\sqrt{1 + \tan (2 \alpha^*)^2}} + \tau_{xy}\frac{\tan (2 \alpha^*)}{\sqrt{1 + \tan (2 \alpha^*)^2}} $
Einsetzen von $\tan (2 \alpha^*) = \frac{2 \tau_{xy}}{\sigma_x - \sigma_{y}}$:
$\sigma_{x^*} = \frac{1}{2} (\sigma_x + \sigma_y) + \frac{1}{2} ( \sigma_x - \sigma_y) \frac{1}{\sqrt{1 + (\frac{2 \tau_{xy}}{\sigma_x - \sigma_y})^2}} + \tau_{xy}\frac{\frac{2 \tau_{xy}}{\sigma_x - \sigma_y}}{\sqrt{1 + (\frac{2 \tau_{xy}}{\sigma_x - \sigma_y})^2}} $
Nun erfolgt die Umrechnung:
Der 1. Summand bleibt bestehen. Für den 2. Summanden wird folgendes gemacht:
$\frac{1}{2} ( \sigma_x - \sigma_y) \frac{1}{\sqrt{1 + (\frac{2 \tau_{xy}}{\sigma_x - \sigma_y})^2}}$
Den Bruch unter dem Bruchstrich erst einmal auf einen Nenner bringen:
$\sqrt{1 + (\frac{2 \tau_{xy}}{\sigma_x - \sigma_y}})^2$ |auf einen Nenner bringen
$\sqrt{\frac{(\sigma_x - \sigma_y)^2}{(\sigma_x - \sigma_y)^2} + \frac{4 \tau_{xy}^2}{(\sigma_x - \sigma_y)^2}}$ |zusammenziehen
$\sqrt{\frac{(\sigma_x - \sigma_y)^2 + 4 \tau_{xy}^2}{(\sigma_x - \sigma_y)^2}}$ |Wurzel herausziehen
$\frac{\sqrt{(\sigma_x - \sigma_y)^2 + 4 \tau_{xy}^2}}{\sqrt{(\sigma_x - \sigma_y)^2}}$
Da der Bruch unter dem Bruchstrich liegt, kann dieser mit dem Kehrwert multipliziert werden, es folgt:
$\frac{1}{2} ( \sigma_x - \sigma_y) \frac{\sqrt{(\sigma_x - \sigma_y)^2}}{\sqrt{(\sigma_x - \sigma_y)^2 + 4 \tau_{xy}^2}}$ |zusammenziehen
$\frac{1}{2} \frac{(\sigma_x - \sigma_y)^2}{\sqrt{(\sigma_x - \sigma_y)^2 + 4 \tau_{xy}^2}}$
Für den 3. Summanden gilt:
$\tau_{xy}\frac{\frac{2 \tau_{xy}}{\sigma_x - \sigma_y}}{\sqrt{1 + (\frac{2 \tau_{xy}}{\sigma_x - \sigma_y})^2}}$
$ \frac{2 \tau_{xy}^2 \cdot \sqrt{(\sigma_x - \sigma_y)^2}}{(\sigma_x - \sigma_y) \cdot \sqrt{(\sigma_x - \sigma_y)^2 + 4 \tau_{xy}^2}}$ |zusammenziehen
$ \frac{2 \tau_{xy}^2}{ \sqrt{(\sigma_x - \sigma_y)^2 + 4 \tau_{xy}^2}}$
Insgesamt ergibt sich also der Term:
$\sigma_{1} = \frac{1}{2} (\sigma_x + \sigma_y) + \frac{1}{2} \frac{(\sigma_x - \sigma_y)^2}{\sqrt{(\sigma_x - \sigma_y)^2 + 4 \tau_{xy}^2}} + \frac{2 \tau_{xy}^2}{ \sqrt{(\sigma_x - \sigma_y)^2 + 4 \tau_{xy}^2}}$
Wenn man die gesamte Vorgehensweise nochmals für $\sigma_y^*$ durchführt, erhält man:
$\sigma_{2} = \frac{1}{2} (\sigma_x + \sigma_y) - \frac{1}{2} \frac{(\sigma_x - \sigma_y)^2}{\sqrt{(\sigma_x - \sigma_y)^2 + 4 \tau_{xy}^2}} - \frac{2 \tau_{xy}^2}{ \sqrt{(\sigma_x - \sigma_y)^2 + 4 \tau_{xy}^2}}$
Methode
Insgesamt ergibt sich also für die Extremwerte (Hauptnormalspannungen):
$\sigma_{1,2} = \frac{1}{2} (\sigma_x + \sigma_y) \pm \frac{1}{2} \frac{(\sigma_x - \sigma_y)^2}{\sqrt{(\sigma_x - \sigma_y)^2 + 4 \tau_{xy}^2}} \pm \frac{2 \tau_{xy}^2}{ \sqrt{(\sigma_x - \sigma_y)^2 + 4 \tau_{xy}^2}}$
Berechnung der Hauptnormalspannungen aus den Invarianten
Die einfachste Möglichkeit zur Berechnung der Hauptnormalspannungen erfolgt über die Invarianten. Es gelten die folgenden zwei Invarianten für die Hauptnormalspannungen:
Methode
$I_1 = \sigma_1 + \sigma_2 = \sigma_x + \sigma_y $
$I_2 = \sigma_1\sigma_2 = \sigma_x\sigma_y - \tau^2_{xy} $
Aus diesen Invarianten erhält man mit Hilfe der ersten Gleichung:
$\sigma_2 = \sigma_x + \sigma_y - \sigma_1 $
Setzt man diese Gleichung nun in die 2. Gleichung ein, so folgt daraus:
$\sigma_1 (\sigma_x + \sigma_y - \sigma_1) = \sigma_x\sigma_x - \tau^2_{xy} $
$\rightarrow 0 = \sigma^2_1 - (\sigma_x + \sigma_y )\sigma_1 + \sigma_x\sigma_y - \tau^2_{xy} $.
Unter Verwendung der bekannten pq-Formel
$x_{1,2} = - \frac{p}{2} \pm \sqrt{(\frac{p}{2})^2 - q}$
erhält man für die quadratische Gleichung die beiden Lösungen:
$\sigma_{1,2} = \frac{(\sigma_x + \sigma_y)}{2} \pm \sqrt{(\frac{\sigma_x + \sigma_y}{2})^2 - \sigma_x\sigma_y +\tau^2_{xy}}$
Methode
Insgesamt ergibt sich also für die Extremwerte (Hauptnormalspannungen):
$ \sigma_{1,2} = \frac{(\sigma_x + \sigma_y)}{2} \pm \sqrt{(\frac{\sigma_x - \sigma_y}{2})^2 +\tau^2_{xy}} $Die beiden Formeln zur Berechnung der Hauptnormalspannungen führen zum selben Ergebnis!
Zusammenfassung der Gleichungen für die Hauptnormalspannung
Zur Berechnung der Hauptnormalspannungen, also der Extremwerte der Normalspannungen, kann die folgende Gleichung verwendet werden:
Methode
$ \sigma_{1,2} = \frac{(\sigma_x + \sigma_y)}{2} \pm \sqrt{(\frac{\sigma_x - \sigma_y}{2})^2 +\tau^2_{xy}} $
Die dazugehörige Hauptrichtung, also die Drehung des Ausgangskoordinatensystems um einen bestimmten Winkel, so dass die Hauptnormalspannungen auftreten, erfolgt durch:
Methode
$\tan (2 \alpha^*) = \frac{2 \tau_{xy}}{\sigma_x - \sigma_{y}}$
Um den Winkel $\alpha^*$ zu berechnen muss die Gleichung nach $\alpha^*$ aufgelöst werden:
Methode
$2 \alpha^* = \tan^{-1}(\frac{2 \tau_{xy}}{\sigma_x - \sigma_{y}})$
Nicht vergessen den resultierenden Winkel noch durch $2$ zu teilen. Resultiert ein positiver Winkel, so erfolgt die Drehung entgegen des Uhrzeigersinns (Linksdrehung). Resultiert ein negativer Winkel, wird das Ausgangskoordinatensystem im Uhrzeigersinn (Rechtsdrehung) um diesen Winkel gedreht.
Fehlen von Schubspannungen
Dort wo die Normalspannungen ihre Extremwerte $\sigma_1$ bzw. $\sigma_2$ annehmen, werden die Schubspannungen $\tau_{x^*y^*} = \tau_{y^*x^*}$ zu null. Das bedeutet auch, dass wenn keine Schubspannungen auftreten, die zugehörigen Normalspannungen Hauptnormalspannungen darstellen. Die Spannungsmatrix lautet dann:
$\sigma'' = \begin{bmatrix} \sigma_{1} & 0 \\ 0 & \sigma_{2} \end{bmatrix} $
Zusammenfassend kann gesagt werden:
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