Inhaltsverzeichnis
Im Folgenden wird das Ritterschnittverfahren an einem statisch bestimmten Fachwerk für alle Stäbe durchgeführt. Das bedeutet, dass zu Anfang zwei Stäbe mit gleichem Knoten geschnitten werden müssen (Anwendung des Knotenpunktverfahrens), um dann den Ritterschnitt (drei Stäbe die nicht alle dem gleichen Knoten angehören) durchzuführen. Es werden zunächst die Lagerkräfte bestimmt, um dann mit dem Ritterschnittverfahren zu beginnen.
1. Bestimmung der Auflagerreaktionen
Zur Bestimmung der Auflagerraktionen muss die Momentengleichgewichtsbedingung aufgestellt werden, anhand derer man die Auflagerreaktionen ableiten kann. Zur Überprüfung kann dann die Gleichgewichtsbedingung der Kräfte herangezogen werden.
Begonnen wird mit der Momentengleichgewichtsbedingung im Knoten $K_1$, weil hier die Lagerkraft $A$ keinen Moment besitzt und damit nicht in die Bedingung mit eingeht (Berechnung von Lagerkraft $B$ möglich):
$M_{K_1} = -F_1 \cdot 2m - F_2 \cdot 6m + B \cdot 8 m = 0 $
$0 = -12 \cdot 2m - 20 \cdot 6m + B \cdot 8 m$
$B = 18 kN$
Merke
Eigenschaften bei der Berechnung von Momenten: Drehung im Uhrzeigersinn negativ, ansonsten positiv. Ein Moment wird immer berechnet durch Kraft mal Abstand zum Bezugspunkt (Schnitt mit der Wirkungslinie).
Um die Lagerkraft $A$ zu berechnen, wird als Bezugspunkt der Knoten $K_3$ gewählt, da hier die Lagerkraft $B$ nicht mit eingeht. Da es sich hierbei um ein Festlager handelt, wirkt eine horizontale $A_h$ und eine vertikale $A_v$ Lagerkraft:
$M_{K_3} = F_2 \cdot 2m + F_1 \cdot 6m - A_v \cdot 8 m = 0 $
$0 = 20 \cdot 2m + 12 \cdot 6m - A \cdot 8 m$
$A_v = 14 kN$
Zur Berechnung von $A_h$ kann die Gleichgewichtsbedingung für die horizontalen Kräfte herangezogen werden:
$\rightarrow A_h = 0$
--> Es existieren keine horizontalen Kräfte, d.h. im Folgenden wird $A_v = A$ verwendet.
Kontrolle
Die Kontrolle erfolgt durch die Gleichgewichtsbedingungen der Teilresultierenden, welche den Wert null annehmen müssen.
$\rightarrow R_x = 0$
$\uparrow R_y = - 12 - 20 + 14 + 18 = 0$
Nachdem die Auflagerreaktionen bestimmt wurden, kann nun das Ritterschnittverfahren angewandt werden.
2. Ritterschnittverfahren
Der Schnitt muss das Fachwerk in zwei Teile zerlegen. Der Schnitt ist möglich:
- durch drei Stäbe, die nicht alle an einem Knoten liegen oder
- durch einen Stab und ein Gelenk.
Begonnen wird damit das Fachwerk mit einem Schnitt zwischen Knoten $1 - 2$ und zwischen Knoten $1 - 4$ zu durchtrennen. Hier wird zunächst das Knotenpunktverfahren angewandt, um die beiden Stabkräfte bestimmen zu können:
1. Schnitt
In diesem Beispiel sollen alle Stabkräfte bestimmt werden. Grundsätzlich wird das Ritterschnittverfahren angewandt um einzelne Stabkräfte innerhalb eines Fachwerks zu bestimmen. Da nun aber alle Kräfte bestimmt werden sollen, muss der erste Schnitt mittels Knotenpunktverfahren durchgeführt werden. Wir schneiden also den Knoten 1 frei und berechnen die Stabkräfte $S_{12}$ und $S_{14}$ mittels der zwei Gleichgewichtsbedingungen $R_x =0$ und $R_y = 0$
Der Winkel von 45° ergibt sich aus den Abmessungen des Fachwerks. Als nächstes werden die Gleichgewichtsbedingungen aufgestellt:
$\rightarrow : \; S_{12} + S_{14} \cdot \cos(45°) = 0$
$\uparrow : \; A + S_{14} \cdot \sin(45°) = 0$
Aus der vertikalen Gleichgewichtsbedingungen kann $S_{14}$ berechnet werden:
$S_{14} = -\frac{A}{\sin(45°)} = -\frac{14 kN}{\sin(45°)} = -19,80 kN$
Danach kann aus der horizontalen Gleichgewichtsbedingung $S_{12}$ berechnet werden:
$S_{12} = -S_{14} \cdot \cos(45°) = 19,80 kN \cdot \cos(45°) = 14 kN$
Nachdem die beiden Stäbe bestimmt worden sind, kann als nächstes das Ritterschnittverfahren angewandt werden.
2. Schnitt
Mit dem 2. Schnitt beginnt das eigentliche Ritterschnittverfahren. Hier wählen wir den Schnitt zwischen drei Stäben die nicht alle zum selben Knoten gehören. Wir wählen den zweiten Schnitt durch die Stäbe $ S_{45}$, $S_{42}$ und $S_{12}$.
Merke
Wichtig: Nach dem Schnitt muss das Fachwerk in zwei Teilen vorliegen. Es dürfen nicht mehr als drei Stäbe geschnitten werden.
Mithilfe der drei Gleichgewichtsbedingungen können als nächstes die freigeschnittenen Stäbe bestimmt werden. Dazu betrachten wir den linken Fachwerksteil:
Für die Berechnungen werden alle angebrachten Kräfte betrachtet, die sich am linken Fachwerksteil befinden, also: $A$, $F_1$, $S_{12}$, $S_{42}$ und $S_{45}$. Welche der drei Gleichgewichtsbedinungen angewandt werden ist frei wählbar. Für das Momentengleichgewicht ist es sinnvoll als Bezugspunkt immer Knoten mit vielen Stabkräften zu verwenden, weil diese bei der Berechnung herausfallen. Wir beginnen mit der vertikalen und horizontalen Gleichgewichtsbedingung:
$\rightarrow: \; S_{12} + S_{45} + S_{42} \cos(45°) = 0$
$\uparrow: \; A - F_1 - S_{42} \sin(45°) = 0$
Aus der vertikalen Gleichgewichtsbedingungen kann $S_{42}$ berechnet werden:
$S_{42} = \frac{A - F_1}{\sin(45°)} = \frac{14 kN - 12 kN}{\sin(45°)} = 2,83 kN$
Uns fehlen noch die Stabkräfte $S_{12}$ und $S_{45}$. Eine der Kräfte können wir mittels der Momentengleichgewichtsbedingung bestimmen und dann aus der horizontalen Gleichgewichtsbedingung die andere Kraft berechnen.
Die Momentengleichgewichtsbedingung für den Knoten $K_2$ liefert uns die Stabkraft $S_{45}$ ($A$ ist bekannt, $F$ ist bekannt, $S_{12}$ und $S_{42}$ fallen heraus):
$M_{K_2} = -A \cdot 4m - S_{45} \cdot 2m + F_1 \cdot 2m = 0$
$0 = -14 kN \cdot 4m - S_{45} \cdot 2m + 12 kN \cdot 2m = 0$
$S_{45} = -16 kN$.
Merke
$S_{42}$ und $S_{12}$ werden nicht berücksichtigt, da die Wirkungslinien bereits den Knoten $K_2$ schneiden und damit kein Hebelarm existiert.
Kontrolle am Knoten 4
$R_x = S_{45} + S_{42} \cdot \cos (45°) - S_{14} \cos (45°) $
$R_x = -16 + 2,83 \cdot \cos (45°) - (-19,8) \cdot \cos (45°) \approx 0$
$R_y = -F_1 - S_{42} \cdot \sin (45°) - S_{14} \sin (45°) $
$R_y = -12 - 2,83 \cdot \sin (45°) - (-19,8) \sin (45°) \approx 0$
Merke
Die ausführliche Berechnung der Teilresultierenden ist im Abschnitt "Kräftezerlegung (analytisch)" zu finden.
3. Schnitt
Im nächsten Schritt wird das Fachwerk zwischen den Stäben $S_{45}$, $S_{25}$ und $S_{23}$ durchtrennt. Die Momentengleichgewichtsbedingung wird für die Knoten $K_1$ und $K_4$ aufgestellt. Die Kontrolle erfolgt über den Knoten $K_2$.
Momentengleichgewichtsbedingung im 3. Schnitt
Für die Momentenberechnung an dem Knoten $K_1$ werden alle von außen wirkenden Kräfte, die sich links vom Schnitt befinden, betrachtet (hier: $F_1$, $A$, $S_{45}$, $S_{25}$, $S_{23}$).
$M_{K_1} = -F_1 \cdot 2m - S_{45} \cdot 2m + S_{25} \cdot 2,828 = 0$
$0 = -12 \cdot 2m - (-16) \cdot 2m + S_{25} \cdot 2,828$
$S_{25} = -2,83 kN$.
$M_{K_4} = -A \cdot 2m + S_{25} \cdot 2,828 + S_{23} \cdot 2m = 0$
$0 = -14 \cdot 2m - 2,83 \cdot 2,828 + S_{23} \cdot 2m$
$S_{23} = 18 kN$.
Kontrolle am Knoten 2
$R_x = S_{23} + S_{25} \cdot \cos (45°) - S_{42} \cdot \cos (45°) - S_{12} $
$R_x = 18 - 2,83 \cdot \cos (45°) - 2,83 \cdot \cos (45°) - 14 = 0$
$R_y = S_{25} \cdot \sin (45°) + S_{42} \cdot \sin (45°) $
$R_y = - 2,83 \cdot \sin (45°) + 2,83 \cdot \sin (45°) = 0$
4. Schnitt
Das Fachwerk wird an den Stäben $S_{23}$ und $S_{53}$ durchtrennt. Die Momentengleichgewichtsbedingung wird für den Knoten $K_2$ aufgestellt. Die Kontrolle erfolgt über den Knoten $K_5$.
Für die Momentenberechnung an dem Knoten $K_2$ werden alle von außen wirkenden Kräfte, die sich links vom Schnitt befinden, betrachtet:
$M_{K_2} = -A \cdot 4m + F_1 \cdot 2m - F_2 \cdot 2m - S_{53} \cdot 2,828 = 0$
$0 = -14 \cdot 4m + 12 \cdot 2m - 20 \cdot 2m - S_{53} \cdot 2,828$
$S_{53} = -25,46 kN$.
Kontrolle am Knoten 5
$R_x = - S_{45} + S_{53} \cdot \cos (45°) - S_{25} \cdot \cos (45°) $
$R_x = 16 - 25,46 \cdot \cos (45°) + 2,83 \cdot \cos (45°) \approx 0$
$R_y = -F_2 - S_{53} \cdot \sin (45°) - S_{25} \cdot \sin (45°) $
$R_y = -20 + 25,46 \cdot \sin (45°) + 2,83 \cdot \sin (225°) \approx 0 $
Das Ritterschnittverfahren ist beendet, da alle Stäbe berechnet sind.
Merke
Grundsätzlich wird das Ritterschnittverfahren angwandt um einzelne Stäbe innerhalb eines Fachwerks zu bestimmen (siehe nachfolgenden Abschnitt). Will man alle Stabkräfte eines Fachwerks mittels Ritterschnittverfahren bestimmen, so muss für den 1. Schnitt zunächst das Knotenpunktverfahren angewandt werden. Hierbei dürfen nur Knoten betrachtet werden, die maximal 2 unbekannte Stäbe aufweisen. An diesem Knoten werden dann die Gleichgewichtsbedingungen in x- und y-Richtung angewandt. Die Stäbe müssen gegebenfalls in ihre x- und y-Komponenten zerlegt werden. Danach kann dann das Ritterschnittverfahren angewandt werden.
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