Inhaltsverzeichnis
Wir betrachten in diesem Kurstext erneut ein Bespiel zur Bestimmung des geometrisch bestimmten Systems, welches für die Anwendung des Drehwinkelverfahrens vorliegen muss.
Für unser Beispiel betrachten wir das folgende Stabtragwerk:
Zunächst bestimmen wir den Grad der geomtrischen Unbestimmtheit.
Grad der geometrischen Unbestimmtheit
Wir benötigen als erstes die Anzahl der Verschiebungsgleichungen $n_v$ bzw. den Grad der kinematischen Verschieblichkeit $w$:
Zunächst werden für alle Knoten für die gilt $M \neq 0$ Momentengelenke eingefügt, so dass gilt $M = 0$. So müssen ebenfalls für die feste Einspannung Momentengelenke eingefügt werden, da für diese $M \neq 0$ gilt (Einspannungen übertragen Momente).
Hinweis
Für gelenkige Lager, wie z.B. Festlager und Loslager, müssen keine Momentengelenke eingefügt werden, da für diese bereits $M = 0$ gilt.
Danach wird die Abzählformel für ebene Stabtragwerke herangezogen, um die statische Überbestimmtheit zu bestimmen.
Methode
$f = a + 3 ( p - k) - r$
$a = 6$ Auflagerkräfte
$k = 8$ Knotenpunkte (Auflagerknoten, Momente, biegesteife Ecken, Endpunkte)
$p = 8$ Stabelemente zwischen den Knotenpunkten
$r = 8$ Nebenbedingungen
Anwendung der Gleichung:
$f = 6 + 3 \cdot (8-8) - 8 = -2$
Es gilt $w = -f = 2$ und somit ist das obige System 2-fach kinematisch.
Der Grad der kinematischen Verschieblichkeit beträgt demnach $w = 2$ und damit ist auch die Anzahl der Verschiebungsgleichungen $n_v = 2$.
Anzahl der Knotengleichungen
Als nächstes benötigen wir die Anzahl $n_\varphi$ der unbekannten Knotengleichungen, welche wir über die unbekannten Knotendrehwinkel ermitteln. Diese sind an denjenigen Knoten gegeben, wo die Verdrehung $\varphi$ unbekannt ist. Wichtig ist hierbei, dass das Ausgangssystem betrachtet wird:
An den biegesteifen Ecken ist die Verdrehung unbekannt. Hier sind also die unbekannten Knotendrehwinkel (in der rechten Grafik eingekreist) gegeben. Für die festen Einspannungen sind die Verdrehungen bekannt (gleich Null). Denmach sind hier keine unbekannten Knotendrehwinkel gegeben. Insgesamt ergeben sich also fünf unbekannte Knotendrehwinkel und damit $n_\varphi = 5$ Knotengleichungen.
Wir können den Grad der geometrischen Unbestimmtheit des obigen Stabtragwerks bestimmen:
$n = n_v + n_\varphi = 2 + 5 = 7$
Für die Anwendung des Drehwinkelverfahrens müssen also 7 unbekannte Verschiebungs- und Knotengleichungen aufgestellt werden.
Damit das Drehwinkelverfahren angewendet werden kann, muss das obige Tragwerk aber zunächst statisch bestimmt werden. Dazu fügen wir Verschiebe- und Verdrehfesthaltungen ein.
Verschieblichkeit aufheben
Zur Aufhebung der Verschiebung müssen wir genau $n_v = 2$ einwertige Lager einfügen. Um herauszufinden, wo genau eine Verschiebung im Tragwerk vorliegt, kann man sich zunächst ein Lager auswählen und von dort eine Drehung um den Lagerknoten durchführen:
Wir haben zunächst im Knoten $a$ mit gelenkigem Festlager eine Linksdrehung des Stabes I um diesen Knoten durchgeführt. Damit verschiebt sich in jedem Fall der Knoten $b$ und zwar senkrecht zum Stab I. Da wir beim Drehwinkelverfahren von $EI \to \infty$ ausgehen und sich damit die Stablänge nicht verändert, verschieben sich die Knoten $g$ und $e$ im gleichen Maße. Wir haben bereits eine Verschiebung gefunden und können hier direkt die horizontale Verschiebung durch Einfügen eines einwertigen Lagers sperren.
Da wir noch ein weiteres Lager einfügen müssen ($n_v = 2$), suchen wir von der Grafik rechts ausgehend weitere Verschiebungen. Da die Verschiebung der Knoten $b$, $g$ und $e$ nun gesperrt ist und die Verschiebung der Knoten $a$, $h$ und $f$ nicht möglich ist (Festlager), kann eine Verschiebung nur noch bei den Knoten $c$ und $d$ eintreten. Diese tritt zum Beispiel ein, wenn wir die Stab $II$ um den Knoten $b$ drehen:
Das Einfügen eines weiteren einwertigen Lagers sperrt die horizontale Verschiebung der Knoten $c$ und $d$.
Expertentipp
Auch hier könnt ihr anstelle der obigen Vorgehensweise einfach jeden Riegel und jede Stütze separat betrachten. Beide Riegel sind horizontal verschieblich, müssen also mit Festhaltungen versehen werden. Die Stützen sind alle durch die Festlager unverschieblich, weshalb hier keine vertikalen Verschiebungen möglich sind und damit auch keine Festhalungen an den Stützen eingefügt werden müssen.
Verdrehfesthaltung einfügen
Als nächstes müssen wir Festhaltungen gegen die Verdrehung für alle unbekannten Knotendrehwinkel einfügen. Wir haben ingesamt $n_\varphi = 8$ unbekannten Knotendrehwinkel gegeben, demnach müssen wir auch 8 Verdrehfesthaltungen einfügen:
Alle Festhaltungen werden nun in das Ausgangssystem übertragen:
Es ergibt sich ein geometrisch bestimmtes Stabtragwerk, welches für das Drehwinkelverfahren angewendet werden kann.
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