Die im Kapitel "Versagenskriterien" genannten Versagensarten aufgrund mechanischer Beanspruchung resultieren aus Spannungen und Verformungen. Wenn ein Teil mit Kräften und / oder Momenten belastet wird, treten in seinem Inneren mechanische Spannungen auf und es verformt sich. Die Einheit der Spannung ist MegaPascal (MPa): $1 MPa = 1 \frac{N}{mm^2}$, also Kraft pro Fläche.
Um zu klären, wie ein Bauteil konkret geometrisch und größenmäßig gestaltet sein muss, damit es hält und seine Funktion erfüllt, müssen wir die Belastung, vorrangig die Spannungen berechnen. Die Kräfte und Momente, die auf unsere Maschinenelemente (theoretisch) wirken werden und die wir im Bereich "Technische Mechanik" ausrechnen, gehen dabei als Eingangsgrößen mit ein. Um die Belastung zu definieren legen wir also den zu untersuchenden kritischen Querschnitt (oder mehrere) fest und errechnen mit dessen Geometrie und den Belastungsgrößen die vorhandene Spannung.
Um zu beurteilen, ob ein Teil diese vorhandene Spannung ertragen kann, benötigen wir die "Bauteilfestigkeit", also die für das Bauteil zulässige Spannung $\sigma_{zul}$ bzw. $\tau_{zul}$, die aus Konstruktionskennwerten (meist der Bauteilgeometrie) und Werkstoffkennwerten des betrachteten Maschinenelementes ermittelt wird.
Zum Unterschied der Begriffe Spannung und Festigkeit wurden bereits einige Hinweise gegeben.
Sicherheit - die Zahl die über Leben und Tod (des Maschinenelements) entscheidet
Wenn wir die Bauteilfestigkeit $\sigma_{zul}$ durch die vorhandene Spannung $\sigma_{vorh}$ (oder jeweils $\tau$) teilen erhalten wir die Sicherheit gegen Fließen (also bleibende Verformung) bzw. gegen Bruch, die wir wiederum mit der gemäß Anforderungsliste gewünschten / erforderlichen Sicherheit vergleichen können:
$S_{vorh} = \dfrac{\sigma_{zul}}{\sigma_{vorh}} \ge S_{min}$
Dieser Nachweis muss für jede Belastungsart einzeln und beim aus mehreren Belastungen zusammengesetzen mehrachsigem Spannungszustand für die überlagerte Gesamtbelastung errechnet werden.
Die nachfolgende Belastungsarten können in einem Bauteil auftreten - Zug, Druck, Scherung, Biegung, Torsion:
Bei dynamischen Belastungen wird die Sicherheit auch gegen Dauerbruch als Quotient der vorhandenen Ausschläge geteilt durch die Gestaltausschlagfestigkeit berechnet. Ob die Berechnung für Fließen (plastische Verformung) oder Bruch durchgeführt wird hängt von den Anforderungen ab, meist ist Fließen das relevante Kriterium.
Soll eine Gesamtsicherheit aus den Einzelsicherheiten für Tangential- und Normalspannungen errechnet werden, geht das im allgemeinen mit der Gleichung:
$S = \dfrac{1}{\sqrt{(\dfrac{1}{S_\sigma})^2+(\dfrac{1}{S_\tau})^2}} = \dfrac{1}{\sqrt{(\dfrac{\sigma_{vorh}}{\sigma_{zul}})^2+(\dfrac{\tau_{vorh}}{\tau_{zul}})^2}}$
Hinweis
Weitere Hinweise zu den Begriffen Tangential- und Normalspannungen sowie zur Gestaltausschlagfestigkeit folgen etwas später.
Die Gleichung der Sicherheit wird in der Entwurfsphase umgestellt nach der zulässigen Spannung $\sigma_{zul}$, so dass die geforderte Mindestsicherheit $S_{min}$ (zu empfehlen ist 1,5 gegen Fließen und 2 gegen Bruch, wenn nicht anders gefordert) und die Werkstoffdaten als Eingangsgrößen gesetzt werden. Von der zulässigen Spannung aus werden dann wiederum entsprechend der Belastungsart die erforderlichen Querschnitte ermittelt :
$\sigma_{vorh} \le \sigma_{zul} = \dfrac{(R_e\ oder\ R_p)}{S_{min}}$
Wenn das Versagenskriterium eine maximale elastische Verformung ist wird für den Nachweis die vorhandene Verformung errechnet und mit der zulässigen Verformung verglichen, beziehungsweise nach dem Querschnitt umgestellt und aus der zulässigen Verformung der Querschnitt ermittelt; auch gegen elastische Verformung kann eine Sicherheit eingerechnet werden wie bei den Gleichenung zu Bruch und Fließen.
Merke
Ein Ökonom kann auch mit 90 % Zielerreichung zufrieden sein, wenn die fehlenden 10 % zu teuer wären. Der Konstrukteur kann bei der Auslegung von Maschinenelementen meist so nicht arbeiten, weil ein Maschinenteil, das nur 90 % seiner tatsächlichen Belastung aushält, zu früh kaputt geht und ausfällt.
Bezeichnungen der Spannungen und Festigkeiten
Der Weg zum zulässigen und vorhandenen $\sigma$ kann ein weiter sein.
Zu den Formelzeichen der Spannung als auch der Festigkeiten gibt es unheimlich viele Indizes, die zu durchschauen nicht ganz leicht ist. Es ist deshalb hilfreich, die prinzipiellen Gruppierungen der Formelzeichen und Indizes zu verstehen.
- Zunächst sind die Grundbelastungsarten nach ihrer geometrischen Ausrichtung im Bauteil zu unterscheiden in
- Normalspannungen $\sigma$ (Zug, Druck, Biegung) und
- Tangentialspannungen $\tau$ (Torsion, Scherung)
Spannungs- bzw. Festigkeitskennwerte sollten stets mit diesen beiden Formelzeichnen gekennzeichnet werden. Nur bei einer statischen Belastung von unterschiedlichen Stählen oder Eisenwerkstoffen bei einer Belastung auf Zug bzw. Druck gelten die Werte: - $R_e$ für die Fließfestigkeit
- $R_{p0,2}$ für die Fließfestigkeit bie 0,2% plastischer Verformung
- $R_m$ für die Bruchfestigkeit
- Danach wird die Spannungsart nach der Beanspruchungsart gekennzeichnet, wenn anwendbar:
- z für Zug,
- d für Druck,
- b für Biegung
- t für Torsion und
- s für Scherung
Dabei erfolgt die Kennzeichnung der Spannungsart stets mit Kleinbuchstaben!
- Die geometrische Art der Spannung entscheidet über den Berechnungsweg und ist für die Zusammensetzung mehrerer überlagernder Belastungsarten relevant.
Danach folgt die Kennzeichnung des jeweiligen Status wie folgt:- vorh(anden),
- res(ultierend) bzw.
- zul(ässig)
- Teilweise sind für die Werkstoffe unterschiedliche Belastungsgrenzen für die verschiedenen Belastungsarten festgelegt. Diese werden mit folgenden Indizes gekennzeichnet:
- W für Wechselnde Belastung bzw. Wechselfestigkeit
- Sch für Schwellende Belastung bzw. Schwellfestigkeit
- N für Normale Belastung
Diese Belastungsgrenzen erfolgen mit einem Großbuchstaben als Erstbuchstabe
- Beziehen sich die Kennwerte auf die Fließ- bzw. Bruchfestigkeit sind folgende Idizes zu verwenden:
- F für Fließfestigheit
- B für Bruchfestigkeit
Dies sind generell ebenfalls Großbuchstaben
- Kommen noch Festigkeits- oder Spannungshinweise auf Grund der Gestalt des Bauteils hinzu, z.B. hervorgerufen durch Kerben oder Wellenabsätze erfolgt eine Kennzeichnung mit
- G (groß geschrieben) als Hinweis für die Darstellung einer Gestaltfestigkeit.
Merke
Diese unterschiedlichen Idizes sind außerordentlich wichtig und sollten nicht verwechselt werden. So weist ein b auf die Biegung hin, wohingegen B die Bruchfestigkeut verkörpert.
Der Status entscheidet darüber, wo in den verschiedenen Vergleichen des Rechenwegs eine Spannung angesetzt werden muss.
Das folgende Schaubild gibt einen Überblick über die wichtigsten Spannungsgrößen und wofür sie in welcher Reihenfolge verwendet werden.
Die genaue Erläuterung der Verwendung folgt dann in den jeweiligen Unterkapiteln, bei denen dieses Schaubild gerne auch noch mal rekapituliert werden kann.
Es gibt noch eine Anzahl weitere Indizes die für verschiedene Detailbetrachtungen verwendet werden, aber für die grundsätzlichen Überlegungen nicht so relevant sind.
Für die Berechnung der Verformung und der zulässigen Spannung benötigen wir das Hooke'sche Gesetz und die verschiedenen geometrischen Spannungsarten beziehungsweise Belastungsarten.
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