Inhaltsverzeichnis
In den vorherigen Abschnitten wurde bereits als kinematische Größe die Verschiebung $u$ und die Dehnung $\epsilon = \frac{du}{dx}$ bei einem Zugstab eingeführt. In diesem Abschnitt soll dargestellt werden, wie man die Verformung von räumlichen oder flächenförmigen Körpern beschreiben kann. Es erfolgt zunächst eine allgemeine Darstellung der Verschiebungen und Verzerrungen. Hierbei wird vor allem auf die Verzerrungen eingegangen, welche Dehnungen und Gleitungen zur Folge haben. Die Formel und die Berechnung dieser Dehnungen $\epsilon$ und Gleitungen $\gamma$ (auch: Schubverformung) folgt dann in den Abschnitten Hooksches Gesetz für den mehrachsigen Zustand.
Es wird im folgenden die Verformung in der Ebene betrachtet. Der folgende Zugstab wird durch eine Normalspannung $\sigma$ beansprucht. Zur Veranschaulichung der Verschiebungen und Verformungen die dabei entstehen können, wird das Rechteck (R), das Trapez (T) und der Punkt $P$ betrachtet.
In der obigen Grafik ist der eingespannte Zugstab (hellgrau) zu sehen, welcher durch die Normalspannung $\sigma$ belastet wird und sich dann verformt (dunkelgrau). Der Punkt (ganz links) auf dem unbelasteten Zugstab erfährt durch die Belastung eine Verschiebung zu $nach rechts. Es folgt also eine horizontale Verschiebung. Bei dem Rechteck erfolgt ebenfalls eine Verschiebung. Die Seitenlängen des Rechtecks ändern sich zusätzlich. Bei dem Trapez ändern sich nicht nur die Punkte und die Seitenlängen, sondern auch die Winkel.
Verschiebungen im ebenen Fall
Verschiebungen treten immer dann auf, wenn ein Bauteil derart stark belastet wird, so dass es zu einer Verformung kommt. Die Punkte des Körpers ändern ihre Lage. Sie erfahren eine Verschiebung. Wählt man im Vorfeld einen Punkt innerhalb jenem Teil des Bauteils, der von der Verformung betroffen ist, so erfährt dieser Punkt eine Verschiebung $ u $.
Die Verschiebung $ u $ wird dargestellt durch den gleichnamigen Verschiebungsvektor, welcher eine Ortsabhängigkeit besitzt. Man schreibt daher:
$\ u = u (x,y)\ \ \text{bzw.} u \rightarrow \left\{\begin{array}{rcl} u = u (x,y) \\ v = v (x,y) \end{array}\right. $
Dabei geben die skalaren Funktionen u bzw. v die Verschiebungen in x bzw. in y Richtung an. Sie sind also mit dem Ort (x,y) veränderliche Funktionen.
Merke
Verzerrungen im ebenen Fall
Von Verzerrungen ist immer dann die Rede, wenn die Verschiebung zweier benachbarter Punkte unterschiedlich ist. Dies erfolgt, wenn sich der Abstand zweier Punkte oder der Winkel zwischen drei Punkten ändert.
Zur Darstellung von $u$ und $v$ kann die Taylor-Reihenentwicklung verwendet werden, da diese mit dem Ort (x,y) veränderliche Funktionen sind. Davon ausgehend, dass es sich lediglich um kleine Verformungen handelt, wird die Reihe nach dem linearen Glied abgebrochen. Also:
$\ u(x+dx, y+dy) = u(x,y) + \frac{\partial u(x,y)}{\partial x} dx + \frac{\partial u(x,y)}{\partial y} dy + ....... $
$\ v(x+dx, y+dy) = v(x,y) + \frac{\partial v(x,y)}{\partial x} dx + \frac{\partial v(x,y)}{\partial y} dy + ....... $
Die Zusatzterme beschreiben hierbei die Veränderungen, die in den Verschiebungskomponenten auftreten.
Beispiele
Gegeben sei folgendes am Boden eingespanntes Blech, welches durch eine Belastung verformt wird. Im Folgenden soll das Quadrat innerhalb des Blechs betrachtet werden, welches aufgrund der Verformung des Blechs eine Verschiebung und eine Verzerrung erfährt.
Es wird im Folgenden das kleine Quadrat und dessen Verschiebung und Verzerrung betrachtet:
In dem Ausgangsquadrat besitzt Punkt $A$ die Koordinaten $(x | y)$, Punkt $C$ die Koordinaten $(x + dx | y)$ und Punkt $B$ besitzt die Koordinaten $(x | y + dy)$.
Verschiebung
Es werden als nächstes die Verschiebungen der Punkte betrachtet:
$A$ besitzt die Verschiebung:
$u_A = u(x,y)$
$v_A = v(x,y)$
$C$ besitzt die Verschiebung (Taylorreihe):
$u_C = u(x,y) + \frac{\partial u}{\partial x}dx = u_A + \frac{\partial u}{\partial x}dx$
$v_C = v(x,y) + \frac{\partial v}{\partial x}dx = v_A + \frac{\partial v}{\partial x}dx$
$C$ besitzt bei der Verschiebung nur den x-Anteil, da die Koordinaten $(x + dx | y)$.
$B$ besitzt die Verschiebung (Taylorreihe):
$u_B = u(x,y) + \frac{\partial u}{\partial y}dy = u_A + \frac{\partial u}{\partial y}dy$
$v_B = v(x,y) + \frac{\partial v}{\partial y}dy = v_A + \frac{\partial v}{\partial y}dy$
Dabei stellen die vier Zuwachsterme die Veränderungen der Abstände dar, die durch die Verformung auftreten. Was bedeutet das genau?
Punkt $A$ wird von der Ausgangsposition um $u(x,y)$ und $v(x,y)$ verschoben. Punkt $C$ wird nicht nur von seiner Ausgangsposition um $u(x,y)$ und $v(x,y)$ verschoben, sondern erfährt noch eine größere Verschiebung in Höhe von diesen Zuwachstermen. Gleiches gilt für Punkt $B$.
Das bedeutet also, dass $C$ und $B$ größere Verschiebungen haben als der Punkt $A$. Im nächsten Schritt wird als erstes bestimmt, wie sich die Abstände der Strecken nach der Verformung im Vergleich zu den Abständen der Strecke vor der Verformung verändern. Das bedeutet also, es wird die Dehnung der Strecken bestimmt.
Verzerrungen
Änderung der Abstände (Dehnung)
Berechnung der Änderung des Abstands der neuen Strecken $\overline{A'C'}$ im Vergleich zur Ausgangsstrecke $\overline{AC}$:
$\epsilon_x = \frac{\overline{A'C'} - \overline{AC}}{\overline{AC}} = \frac{(dx + \frac{\partial u}{\partial x}dx) - dx}{dx} = \frac{\partial u}{\partial x}$
Berechnung der Änderung des Abstands der neuen Strecken $\overline{A'B'}$ im Vergleich zur Ausgangsstrecke $\overline{AB}$:
$\epsilon_y = \frac{\overline{A'B'} - \overline{AB}}{\overline{AB}} = \frac{(dy + \frac{\partial u}{\partial y}dy) - dy}{dy} = \frac{\partial v}{\partial y}$
Methode
Die Dehnung ist also:
$\epsilon_x = \frac{\partial u}{\partial x}$
$\epsilon_y = \frac{\partial v}{\partial y}$
Gleitung
Die Gleitung oder Schubverformung berechnet die Änderung des Winkels der Strecken im Vergleich zu dem Ausgangskörper. Die Strecke $\overline{AC}$ verläuft horizontal, die Strecke $\overline{A'C'}$ hingegen besitzt einen Winkel $\alpha$ zum Ausgangskörper. Das selbe gilt für die Strecke $\overline{A'B'}$ mit dem Winkel $\beta$. Außerdem hat sich der Winkel zwischen den Strecken verändert. Die Strecken $\overline{AC}$ und $\overline{AB}$ haben im Ausgangsviereck den Winkel 90°. Nach der Verformung wurden die Seiten zusammengestaucht und besitzen den Winkel $\phi$. Man kann den neuen Winkel bestimmen durch:
Methode
$\gamma_{x,y} = 90° - \phi = \alpha +\beta$. Gleitung
$\alpha \ \text{und} \ \beta $ lassen sich auch schreiben als
$\alpha = \tan \alpha = \frac{\frac{\partial v}{\partial x} dx}{dx + \frac{\partial u}{\partial x}dx} = \frac{\partial u}{\partial y} \rightarrow $ [x-Richtung]
$\beta = \tan \beta = \frac{\frac{\partial u}{\partial y} dy}{dy + \frac{\partial v}{\partial y}dy } = \frac{\partial v}{\partial x} \rightarrow $ [y-Richtung].
Methode
Somit ist die Schubverformung oder Gleitung letztlich beschrieben durch:
$\gamma_{x,y} = \gamma_{y,x} = \frac{\partial u}{\partial y} + \frac{\partial v}{\partial x}$.
Weitere interessante Inhalte zum Thema
-
Termin- und Kapazitätsplanung
Vielleicht ist für Sie auch das Thema Termin- und Kapazitätsplanung aus unserem Online-Kurs Produktion interessant.
-
Verträglichkeitsbedingungen
Vielleicht ist für Sie auch das Thema Verträglichkeitsbedingungen (Mehrachsige Spannungszustände) aus unserem Online-Kurs Technische Mechanik 2: Elastostatik interessant.