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Im vorherigen Abschnitt wurden die Spannungen im Stab bei einem senkrechten Schnitt, also ohne Winkel, untersucht. Änderungen treten erst dann auf, wenn der Schnittwinkel $\alpha \not= 0° $ wird. In diesem Kurstext soll gezeigt werden, wie sich die Spannungen bei einem Schnitt mit Winkel ändern. Hierzu vergleichen wir die Spannungen die beim einem senkrechten Schnitt $\alpha = 0°$ auftreten mit den Spannungen bei einem Schnitt mit Winkel $\alpha \not= 0°$.
Spannungen beim senkrechten Schnitt
- $\alpha = 0° $ (senkrechter Schnitt):
Horizontale Gleichgewichtsbedingung zur Bestimmung der Normalkraft $N$:
$\rightarrow: -F + N = 0 \rightarrow N = F$
Berechnung der Normalspannung:
$\sigma_0 = \frac{N}{A} \rightarrow \sigma_0 = \frac{F}{A} $
Schubspannungen $\tau $ mit einem Schubkraftanteil $ T $ treten nicht auf (siehe vorherigen Abschnitt), weshalb die Normalspannung in diesem Fall mit $\sigma_0$ bezeichnet wird.
Spannungen bei einem Schnitt mit Winkel
Als nächstes wird derselbe Balken betrachtet, mit der Änderung, dass der Schnitt mit dem Winkel $\alpha$ durchgeführt wird:
- $\alpha \not= 0 $:
Bei einem Schnitt mit Winkel muss nun die Kraft $F$ in ihre $x$- und $y$-Komponente zerlegt werden. Die $x$-Achse wird in Richtung der Normalkraft gelegt und die $y$-Achse in Richtung der Tangentialkraft. Es ist dann möglich mittels der Gleichgewichtsbedingungen in $x$- und $y$-Richtung die Normal- und Tangentialkraft zu bestimmen:
$\searrow : N - F \cos \alpha = 0 \rightarrow N = F \cos \alpha$
$\swarrow : T + F \sin \alpha = 0 \rightarrow T = -F \sin \alpha$
Aus dem vorherigen Abschnitt ist bekannt:
$\sigma = \frac{N}{A}$
Einsetzen:
$\sigma = \frac{ F \cos \alpha}{A}$
$\tau = \frac{T}{A}$
Einsetzen:
$\tau = \frac{-F \sin \alpha}{A}$.
Methode
Unbedingt merken:
Normalspannung: $\sigma = \frac{N}{A}$ $N$ senkrecht (90°) zur Schnittfläche einzeichnen
Schubspannung: $\tau = \frac{T}{A}$ $T$ parallel zur Schnittfläche einzeichnen
Der Unterschied zum senkrechten Schnitt ist nun, dass die Tangentialkraft ungleich Null ist und damit Schubspannungen $\tau$ auftreten.
Aufgrund des schrägen Schnittes vergrößert sich die Schnittfläche A zu A* (im Gegensatz zum senkrechten Schnitt). Das bedeutet diese Fläche muss angepasst werden:
Die Berechnung erfolgt in einem rechtwinkligen Dreieck mittels Kosinus:
$\cos (\alpha) = \frac{\text{Ankathete}}{\text{Hypotenuse}}$
In der obigen Grafik ist die Ankathete $A$ und die Hypotenuse $A*$. Aufgelöst nach $A*$ ergibt sich:
$\ A* = A \cdot \frac{1}{\cos \alpha} $
Diese setzt man nun in die Gleichungen für Normal- und Schubspannungen ein:
$\sigma = \frac{F \cos (\alpha)}{A*} \rightarrow \sigma= \frac{F \cos^2 (\alpha)}{A}$
$\tau = \frac{-F \sin (\alpha)}{A*} \rightarrow \tau= \frac{-F \cos (\alpha) \sin (\alpha)}{A} $
Ersetzen von $\frac{F}{A}$ durch $\sigma_0$ (= Normalspannung in einem Schnitt senkrecht zur Stabachse) erhält man vereinfacht:
$\sigma = \sigma_0 \cos^2 (\alpha)$
$\tau = -\sigma_0 \cos (\alpha) \sin (\alpha)$
Merke
Trigonometrische Beziehungen
$\ 2 \cos^2 (\alpha) = 1 + \cos (2 \alpha)$
$\rightarrow \cos^2 (\alpha) = \frac{1}{2} (1 + \cos (2 \alpha))$
$\ 2 \sin (\alpha) \cos (\alpha) = \sin (2\alpha) $
$\rightarrow \sin (\alpha) \cos (\alpha) = \frac{1}{2} \sin (2 \alpha)$
Nach Anwendung der trigonometrischen Beziehungen erhält man:
$\sigma = \sigma_0 \cos^2 (\alpha) \rightarrow \sigma = \frac{\sigma_0}{2} (1 + \cos (2 \alpha)) $ als Normalspannung und
$\tau = -\sigma_0 \cos (\alpha) \sin (\alpha) = \frac{-\sigma_0}{2} \sin (2\alpha) $ als Schubspannung.
Merke
Ist $\sigma_0$ bekannt, so kann für jeden beliebigen Schnitt die Normalspannung $\sigma$ und die Schubspannung $\tau$ berechnet werden. Die Normalspannung $\sigma $ besitzt unter einem Schnittwinkel von $\alpha= 0° $ (senkrechter Schnitt) ihr Maximum und nimmt mit zunehmendem Winkel kontinuierlich ab, bis sie bei einem Schnittwinkel von 90° gänzlich verschwindet. Anders verhält es sich bei der Schubspannung $\tau $, die ihr betragsmäßiges Maximum unter einem Schnittwinkel von $\alpha = \pm 45° $ besitzt.
Anwendungsbeispiel: Schnitt mit Winkel
Beispiel
Gegeben sei der obige Stab, welcher auf Druck belastet wird. Der Stab besitzt eine kreisförmige Querschnittsfläche mit einem Durchmesser von $d = 5cm$. Es soll ein Schnitt im Winkel von 45° durchgeführt werden. Wie groß ist die Normalspannung und die Schubspannung?
Es wird der Schnitt durchgeführt, die Normalkraft senkrecht zum Schnitt eingezeichnet und die Tangentialkraft parallel zum Schnitt eingezeichnet. Die $x$-Achse wird in Richtung der Normalkraft gelegt und die $y$-Achse in Richtung der Tangentialkraft:
Es werden nun die zwei Gleichgewichtsbedingungen in $x$- und $y$-Richtung angewandt:
$\nearrow : N + F \cos (45°) = 0 \; \rightarrow N = -F \cos (45°) = -35,36 N$
$\searrow : T + F \sin (45°) = 0 \; \rightarrow T = - F \sin (45°) = -35,36 N$
Es muss als nächstes die neue Querschnittsfläche bestimmt werden. Bei einem senkrechten Schnitt ist die Querschnittsfläche (kreisförmig) $\pi r^2$ mit einem Durchmesser von $d = 5 cm$:
$A = \pi \cdot 2,5^2 $
Die neue Querschnittsfläche kann mittels Winkelberechnungen am Dreieck bestimmt werden:
Es handelt sich um ein rechtwinkliges Dreieck, wobei $A$ die Gegenkathete und $A^*$ die Hypotenuse darstellt. $A*$ kann dann bestimmt werden durch:
$A^* = \frac{A}{\sin (\alpha)} = \frac{\pi \cdot 2,5^2}{\sin (45°)} = 27,77 cm^2$.
Merke
WICHTIG: Für die Berechnung der neuen Querschnittsfläche immer die Ausgangsfläche $A$ verwenden. Es ist nicht möglich den Radius $r$ zu verwenden und dann mittels Kosinus den "neuen" Radius zu berechnen, weil eine kreisförmige Querschnittsfläche nach dem Schnitt nicht mehr kreisförmig ist!
Die Normalspannung und Schubspannung beträgt demnach:
$\sigma = \frac{N}{A} = \frac{-35,36 N}{27,77 cm^2} = -1,27 \frac{N}{cm^2}$
$\tau = \frac{T}{A} = \frac{-35,36 N}{27,77 cm^2} = -1,27 \frac{N}{cm^2}$
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